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10. Die alte Glocke in Koblake.

Unweit Stendal ist eine wüste Feldmark, die Kobbellake genannt; vor Zeiten hat hier ein großes Kirchdorf gestanden, das denselben Namen geführt, das aber schon lange vor dem dreißigjährigen Kriege zu Grunde gegangen ist. Man sieht nur an dem Orte, wo früher die Kirche gestanden, einige wenige Mauerstücke aus der Erde hervorragen. Vor vielen Jahren war einem Hirten aus dem nahen Dorfe Großen-Möhringen, der dort in der Gegend das Vieh hütete, eine Sau entkommen. Er suchte sie überall, und fand sie endlich an jenen Mauerstücken, wo sie ein tiefes Loch in die Erde gewühlt, und darin Junge geworfen hatte. Als der Hirt diese nun aufnehmen wollte, so fand er, daß sie in einem großen, weiten Kessel lagen, und als er weiter nachsah, da entdeckte er, daß dieß eine schöne alte Kirchenglocke war. Der Fund wurde bald bekannt, und die Domgemeinde zu Stendal glaubte, weil sie die älteste Gemeinde in der Altmark sei, so müsse die Glocke keinem Anderen gehören als ihr. Sie schickte also einen großen Wagen hin, mit sechszehn Pferden bespannt, der sollte sie nach Stendal holen. Allein die Stendaler konnten sie nicht von der Stelle rücken, so viele Gewalt sie auch gebrauchten.

Das Dorf Großen-Möhringen hatte zu derselben Zeit auf seinem Kirchthurme keine Glocke. Ein Bauer aus dem Dorfe fuhr daher nach der alten Mauer, um zu sehen, ob er die Glocke nicht losmachen und bekommen könne. Er fuhr ganz allein hin, und hatte nur ein einziges Pferd vor dem Wagen. Doch konnte er sie ohne Mühe aus der Erde aufheben und auf seinen Wagen heben, und das Pferd jagte im Galopp damit zum Dorfe. Daselbst wurde sie mit vielen Feierlichkeiten auf den Kirchthurm gehangen,

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Jodocus Donatus Hubertus Temme: Die Volkssagen der Altmark. Nicolai, Berlin 1839, Seite 13. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Temme_Die_Volkssagen_der_Altmark_013.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)