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erfuhren wir in der Folge auch, wer der Fremde war. Er hieß Warburton, ein englischer Lord, der, nachdem er sein Vaterland verlassen hatte, weil er dort eine Kränkung erlitten, die seine Ehre antastete, die merkwürdigsten Länder von Europa durchreist, und nun willens war, in unserm schönen Thale den Rest seines Lebens zuzubringen. Er würde sich mit Crescentien verbunden haben, wenn ihre früheren Abentheuer ihn nicht abgeschreckt hätten.

Auf Crescentien machte die fehlgeschlagene Hoffnung und die verschmähte Liebe einen fürchterlichen Eindruck. Sie fand um so weniger Trost in sich, je mehr sie sich vorzuwerfen hatte, daß sie ihr Schicksal verdient habe. Sie litt nicht nur am Gemüthe, sondern auch ihr Körper wurde durch den Seelenschmerz so stark ergriffen, daß sie in eine tödtliche Krankheit verfiel, und daß man lange an ihrem Aufkommen zweifelte. Das Uebel war um so hartnäckiger, da die Hauptursache desselben in der Seele lag. Zwar genas sie allmählig wieder, aber sehr langsam, und ihre Gestalt zerfiel gänzlich, denn die Rosen ihrer Schönheit welkten dahin, um nie wieder aufzublühen. Sie erschrak vor sich selbst, als sie das Bette wieder verlassen konnte, und sich zum erstenmal wieder im Spiegel besah. Obwohl sie bereits nicht mehr ferne vom dreißigsten Sommer war, so hatte sie immer

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Ludwig Neuffer (Hrsg.): Taschenbuch von der Donau 1824. Stettinische Buchhandlung, Ulm 1823, Seite 48. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Taschenbuch_von_der_Donau_1824_048.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)