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Sie schwebte an einem Abgrunde des Verderbens. Ihr guter Engel rettete sie noch. Der Briefwechsel konnte dem Vater nicht verborgen bleiben, er trat also eben, als ein Schreiben an sie angelangt war und sie kaum dasselbe erbrochen hatte, in das Zimmer, um den Inhalt desselben zu erfahren. „Woher, fragte er, ist der Brief? Laß ihn lesen.“ – Schweigend und erröthend gab sie ihn hin. Wie erschrak der überraschte Vater, als er eine Einladung zu einer heimlichen Zusammenkunft darin fand! Voll Bestürzung frug er: „Wie kommt der Oberst dazu, dir einen so schändlichen Antrag zu machen?“ – Crescentia zitterte. „Hast du ihm Hoffnungen gemacht, Unglückliche! fuhr der Vater fort, und seine Liebeleien für Ernst aufgenommen?“ – Crescentia weinte. „Sprich aufrichtig, und sage mir, wie stehst du mit dem Oberst?“ – „Er hat, stammelte Crescentia, mir die Ehe versprochen.“ – „Nun, so erkenne ganz dein Elend und deine Schande,“ donnerte der Vater sie an, und wisse, der Oberst ist schon seit zwölf Jahren verheirathet. Jetzt aber geh’ mir aus den Augen, Nichtswürdige, und laß dich nicht eher vor mir sehen, als bis ich dich rufe. Ich Unglücklicher, warum hab’ ich ihr so viele Freiheit gelassen!“ – Crescentia entfernte sich, um in schmerzlicher Reue ihre Thorheit zu beseufzen, und über den Verlust eines edeln Mannes

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Ludwig Neuffer (Hrsg.): Taschenbuch von der Donau 1824. Stettinische Buchhandlung, Ulm 1823, Seite 24. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Taschenbuch_von_der_Donau_1824_024.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)