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auf dem nächsten ledigen Platze niederließ. Sobald sie Posto gefaßt hatte, ließ sie gegen Hellborn sich etwas unzart also verlauten: „Sie haben mich zwar nicht eingeladen, Herr Schwager; allein ich dachte, ungebetene Gäste sind die liebsten, und kam von selber.“ – Hellborn entschuldigte sich etwas verlegen, daß er von ihrer Anwesenheit in der Gegend nichts gewußt habe, wendete sodann sich an die Gesellschaft und sprach: „Ich habe hiemit die Ehre, Ihnen die Fräulein Crescentia Fraser vorzustellen, eine Schwester meiner Frau.“ Wir verbeugten uns alle aufs höflichste; sie aber schien unsere Höflichkeit als einen Tribut der Schuldigkeit anzunehmen.

Crescentia war eine Art alter Jungfer, schlank wie eine Spindel, und ernsthaft wie eine Duenna. Sie war nicht mehr fern von der trüben Zeit des Herbstes, wo sich die Tage einstellen, die nicht gefallen, und die Zugvögel sich zum Abschied rüsten. Ihre Wangen, sonst ein schwellendes Rosenbette, nahmen eine Richtung nach innen, vermuthlich weil sie mit der gottlosen Welt nichts mehr mochten zu thun haben, und die Lippen, sonst immer bereit, zwo Reihen glänzendes Elfenbein zu enthüllen, beeiferten sich, die Verheerungen der Zeit mit weiser Sorgfalt zu verbergen. Aus diesem Grunde öffnete sie im Gespräche den Mund so wenig, wie möglich, und selbst bei einem freundlichen Lächeln zogen sich die Lippen

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Ludwig Neuffer (Hrsg.): Taschenbuch von der Donau 1824. Stettinische Buchhandlung, Ulm 1823, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Taschenbuch_von_der_Donau_1824_004.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)