Seite:Tagebuch Russlandfeldzug 0162.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Anverwandten, und nicht selten begegneten uns auf unsern Marsche ganze Carawanen solcher oft aus alten abgelebten Greisen und Müttern bestehenden Geiseln, die mit Stricken paarweise an eine lange Leine gereiht unter militairischer Eskorte bis zum nächsten Districtsorte abgeführt wurden. Ob Kindesliebe über Freiheit, und Abneigung gegen einen gezwungenen Stand zum öfteren gesiegt haben mag, laße ich dahin gestellt seyn, doch bin ich fast überzeugt, daß Schrecken und Harm, der beschwerliche Transport, ein beschränktes nächtliches Lager verbunden mit einer zu frugalen Kost, und eine gewiß nicht allemal glimpfliche Behandlung, bei Mehreren dieser unverschuldet Unglücklichen einen früheren Tod herbeigeführet hat, als es außerdem der Fall gewesen sein würde.

     Die damals im größten Schwancken begriffene Politik Österreichs, legte, durch die rückgängige Bewegung Napoleons und seiner Verbündeten bewogen, in die eine Waagschale die so nahe Blutverwandschaft mit Frankreich, und die deshalb schuldige Unterstüzung und Aufrechthaltung einer angebeteten österreichischen Prinzeßin auf einen der ersten Throne Europas, – in die andere hingegen die nicht ungewiß scheinende lockende Aussicht, durch thätige Mitwürkung zum Sturze eines als Erbfeind betrachteten Usurpators, zum Wiederbesize so vieler vom Mutterlande gewaltsam losgerißener Provinzen wieder zu gelangen. Diese schwankende Politik theilte sich damals jung und alt, und Personen aus allerley Claßen und Ständen mit, ja nicht selten sah man in den Schenk-Häusern und öffentlichen Vergnügungsorten, die aufgereizten und erhizten Gemüther ihre oft im größten Widerspruche stehenden Meinungen thätlich vertheidigen, so daß bei diesen politischen Kannengießereyen oft dann noch Blut floß, wo indeßen auf den großen KriegsSchauplaze schon Einleitungen zu den Waffenstillestande und einen gewünschten Frieden getroffen wurden.


Empfohlene Zitierweise:
F. W. Winkler: Bemerkungen über den Feldzug gegen Rußland in den Jahren 1812 und 1813., Seite 162. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Tagebuch_Russlandfeldzug_0162.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)