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die wir bewundern. Jeden nähret die eigene Mutter an der Brust, und nicht den Mägden und Ammen fallen sie anheim. Den Herren oder Knecht vermag man in keiner Tändelei der Erziehung zu unterscheiden: bei den nämlichen Heerden, auf dem nämlichen Boden treiben sie sich, bis den Freien die Jahre scheiden, die Mannhaftigkeit anerkennt. Ganz spät ist der jungen Männer Liebesgenuß und darob unerschöpflich ihre Zeugungskraft. Auch die Jungfrauen werden nicht beeilt: dieselbe Jugendfülle, ähnlich hohe Gestalt; entsprechenden Alters und kraftvoll werden sie Frau: und die Kinder sind der Eltern Ebenbild in Stärke. Die Söhne der Schwester haben beim mütterlichen Oheim die nämliche Achtung wie an der Seite ihres Vaters. Manche halten jenes Band des Blutes für unverletzlicher und enger, und dringen beim Empfang von Geiseln mehr auf solche, überzeugt, daß diese die Stimmung fester und die Familie weiter beherrschen. Erben indeß und Nachfolger sind Jedwedem die eigenen Kinder, und ein Testament gibt es nicht. Fehlen Kinder, so sind die nächste Linie in der Ergreifung des Besitzes die Brüder, Vaterbrüder, Mutterbrüder. Je mehr Verwandte des Blutes, je größer die Zahl der Verschwägerten, desto reicher an Ergebenheit ist das hohe Alter; Kinderlosigkeit hat keinen Preis.

21.

Sowohl die Feindschaften sei es des Vaters, sei es des Blutsverwandten, als wie die Freundschaften auf sich zu nehmen, ist Nöthigung. Jene dauern aber doch nicht unversöhnlich; denn selbst der Mord wird mit einer

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Publius Cornelius Tacitus: Die Germania des Tacitus. Freiburg i. Br.: Herder’sche Verlagshandlung, 1876, Seite 23. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Tacitus_Germania_Baumstark_23.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)