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Hans Carl von Carlowitz: Sylvicultura oeconomica

§. 27. Der Stamm des Baums / wenn er starck ist / so braucht er auch desto mehr Saffts / und hilfft sich auch selber folgender Gestalt solchen zu empfangen / indem der dicke Stamm von innen Kühle bey sich hat / und so bald von außen eine Wärme darzu kömmt / so streiten folglich die Wärme und Kälte / so wohl in Stamm als unter der Rinde / und verursachen dadurch eine Feuchtigkeit (gleich bey denen meteoris) so alsdenn dem Baum zu grossen Nutzen dienet und dessen Wachsthum befördert.

Wie denn das gröste Wunder / so bey der vegetation, durch die von Wasser / oder von der Feuchte aufgelöste salia sich ereignet / gantz unendlich ist.

§. 28. Gleichwie aber unter den Menschen und andern Creaturen nicht alle einerley statur, Geradigkeit / und Ansehen haben; Also gehet es auch bey dem Holtze. Dann ob es wohl unter den wilden Holtze die schönsten / geradesten / wohl gestalte und wohl gewachsene Bäume giebet / so zum Bauen / Brettern / Schindeln und dergleichen sehr dienlich und nützlich sind / so lassen sich doch ebenfalls auch ungestalte / übel proportionirte / krumme / höckerigte / und verwimmerte darunter finden / welche weder zum Bauen noch zu andern Nutzen / sondern nur bloß zum Feuer-Holtz und zum Verkohlen dienen / denn viele solche Gestalten und formen praesentiren / indeme sie heßliche Knörren / Krummen / Buckel / Höcker und Spalten an sich haben / daß sie unangenehm anzusehen / bevorab in solchen Wäldern, wo die Holtz-Axt gar selten hinkömmt / denn solchs sonsten abgehauen und weggeschafft werden solten / damit den schönen und geraden Stämmen zum Wachsthum Raum gemacht werde.

Aber man siehet doch wohl an manchen Orte das contrarium, daß man die schönen abgehauen / und die Bucklichten und Krüplichten stehen läßet.

§. 29. Durch den Stamm nun des Baumes steiget von der Wurtzel der Safft biß in den Gipffel / ja er treibet vor allen Dingen den letztern in die Höhe / und erlängert den Baum am allermeisten daselbst; den Stamm aber treibet er in die Dicke / und dehnet die Rinde nach und nach aus.

Am allerwunderlichsten aber ist es / daß der Safft eines jeden Baumes eine sonderliche Qualität hat.

Denn einer ist wohl- der andere aber übel-riechend; einer riechet süsse / der andere sauer; der eine ist dünne / der andere fett; der dritte hartzig und öhlicht; einer gesund / der andere ungesund; der eine führt hart Holtz / der andere weiches; der eine sprödes / der andere zähes / und ist so fortan fast von unendlichen Qualitäten; Und welches noch mehr verwundernswürdiges Nachdencken gibt / so hat dieser von der Wurtzel selbst praeparirte Safft

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Hans Carl von Carlowitz: Sylvicultura oeconomica. Johann Friedrich Braun, Leipzig 1713, Seite 32. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Sylvicultura_oeconomica.pdf/48&oldid=- (Version vom 21.5.2018)