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Hans Carl von Carlowitz: Sylvicultura oeconomica

können.

Allein weil ein Baum mehr Wurtzeln wirfft als der andere / und gleichwohl der jenige / welcher eben nicht so grosse und tiefe Wurtzeln hat / jedoch so viel Nahrung gebraucht als derjenige / welcher mit vielen und grossen Wurtzeln versehen / so ist an Gewißheit dieser Meynung nicht wenig zu zweiffeln.

Unterdessen scheinet sehr probable, daß die Wurtzeln von unterschiedener Art Bäume grössere poros haben / als andere / und dahero auch mehr Safft aus der Erden an sich ziehen können / als die so kleine poros führen / und weil die Wurtzeln os arboris, oder der Mund des Baums seyn / so stehet dahin ob und wie viel man bey sothanen Umbständen von denenselben abhauen könne.

Was sonsten die poros derer Wurtzeln betrifft / kan man dergleichen auch sagen von theils Saamen.

Denn wenn solche viele poros hat / und selbige durch üble Wartung und Pflegung verschlossen werden / geschichts / daß solcher lange in der Erde lieget / oder in der gewöhnlichen Zeit über nicht aufgehet / weil er nicht gnugsame Feuchtigkeit an sich ziehen kan.

§. 25. Warum auch die Wurtzel zu Zeiten selber wieder ausschläget / neue Stämme herfür treibet / und so wohl den alten / als neuen Stamm ernehret / ist gewiß eine sonderliche curiosität / welcher nachzudencken / der Mühe wohl werth wäre: dann es giebts zum öfftern der Augenschein / daß selbige ob sie gleich mit wenig Erde bedecket / oder gar bloß ist / Knospen gewinnet / und einen Stamm von sich treibet / auch also fort dieser Gegend mehr Wurtzeln wirfft / um den neuen Stamm gnugsahme Nahrung zuverschaffen.

Siehet man also / wie die Vorsichtigkeit der Natur in Vermehr- und Herfürbringung des Holtzes stets beschäfftiget / und nimmermehr zuergründen ist / welche uns dahero anweiset / und anfrischet / auch unsers Orts mit Vermehrung des Holtzes nicht säumig zuseyn / sondern zugleich mit ihr zu agiren.

§. 26. In Herfürbrechung des Stämmleins aus den Saam-Körnlein ist nicht weniger auch zu admiriren / daß weil es mit denen daran hangenden Blättlein oder Tangeln sehr zart ist / jedennoch die schwere Erde / ob es gleich etwas tief in derselbigen lieget / durch die fermentation, so bey dem Aufkeumen geschicht / in die Höhe heben / und durchdringen kann / da es doch für menschlichen Augen schier unmöglich scheinet / daß ein so zartes und schwaches Gewächse eine solche Schwere der Erden über sich heben / und also seinen Durchgang suchen / auch endlich ein solcher Zuwachs erfolgen solte / daß ein Baum nach und nach von dergleichen Größe / Höhe / Dicke und Stärcke daraus erwachse.

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Hans Carl von Carlowitz: Sylvicultura oeconomica. Johann Friedrich Braun, Leipzig 1713, Seite 31. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Sylvicultura_oeconomica.pdf/47&oldid=- (Version vom 21.5.2018)