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Hans Carl von Carlowitz: Sylvicultura oeconomica

keine Frucht / aber das Weiblein hat Blüthe und Früchte / oder Saamen.

§. 4. Eine Linde will etwas guten Boden haben / wächset aber auch wohl in den grösten Höltzern und Wäldern.

Wie starck der Stamm wird / ist in Teutschland an vielen Orten / Dörffern und Städten wohl bekannt / und daß kaum ein ander Baum von dergleichen Stärcke zu finden ist.

Wenn auch die Aeste und Gipffel beschwehret und abgehalten werden / daß sie nicht in die Höhe kommen / so breiten sie sich unglaublicher Weise aus / daß viel hundert Menschen Schatten darunter haben mögen.

§. 5. Uber ihre Anmuthigkeit und ansehnliche Gestalt ist die Linde auch sehr nutzbar / und zu vielen Dingen dienlich.

Vor Alters ist das Linden-Bast an statt des Papiers gebraucht / und so wohl Brieffe / als Gedichte und Historien darauf geschrieben worden.

In Griechischer Sprache heist ein solcher zarter Linden-Bast Philyra, daher ist es kommen / daß eine jede Rinde darauf man schreiben möge / oder könne / Philyra genennet worden / maßen auch dieser Nahme dem Egyptischen Papier zugeeignet wird.

Auff dergleichen wurden die Käyserl. Befehle ausgefertiget / und gedencket Svidas, daß Ulpius Marcellus ein sehr wachsamer Kriegs-Obrister täglich habe gegen Abend zwölff solche philyras beschrieben / welche an die Soldaten bald hier bald dort / zu allen Stunden der Nacht herumgeschicket wurden / damit indem sie vermeinet / daß ihr General wache / sie gleichfalls munter seyn möchten.

Auch hat der Tyrannische Käyser Commodus im Brauch gehabt die Nahmen der jenigen / so er wollen hinrichten lassen / auf solche Linden-Täffelein zu notiren / wie Herodianus von Ihm berichtet. Dieser Bast so zwischen der Schale und Holtz lieget / ist zu Seilen / Köbern / Körben / auch auf die Wägen und andern dergleichen Dingen dienlich / aber es wird auch mancher guter Stamm damit verderbet. In Moscau giebt es gantze Wälder von Linden / und die Einwohner haben theils Orten gute Nahrung darvon / dahero man auch sonderlich dahin trachtet / solchen Baum fortzubringen und zu erhalten.

Denn es wird daselbst Bast in großer Menge gemacht und daraus viel Decken die Wahren einzupacken verfertiget / welche nach Engelland Holl- und Teutschland / und in die angränzenden Länder / wo große negotien und Kauff-Handlungen seyn / häuffig versendet werden / wie man denn saget daß ein Kauffmann / so solche bastene Decken in frembde Lande allein versenden darff / dem Groß-Czaar[WS 1] jährlich 20000. Thaler vor das privilegium zahlet.

Es soll sich aber eine große Anzahl armer Unterthanen davon nehren / indem theils das Bast abschelen / theils solches bereiten / theils die Decken / Seile und andere Wahren davon machen / solche verführen und damit

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Groß-Ezaar
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Hans Carl von Carlowitz: Sylvicultura oeconomica. Johann Friedrich Braun, Leipzig 1713, Seite 318. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Sylvicultura_oeconomica.pdf/334&oldid=- (Version vom 20.8.2021)