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Da schmückt der Poet sein Mädchen mit allen den Namen, deren sich auch sein Alcest (in den „Mitschuldigen“) wohl zu erinnern weiß aus den Zeiten seiner ersten Schwärmerei für Sophie,

Die ihn den höchsten Grad der süßten Liebe lehrte,
Ihm Gottheit, Mädchen, Freund, in Allem Alles war.

Außer Käthchen-Annette ist mit dem kleinen Buche noch ein Name verknüpft, der den Lesern von Goethe’s Selbstbiographie wohl bekannt ist: Ernst Wolfgang Behrisch. Das Goethe-Jahrbuch von 1886 brachte, als eine der ersten Archivgaben, nebst den Leipziger Briefen Goethe’s an seine Schwester die an Behrisch; mehr als die Biographie, zu der sie nicht benutzt worden sind (da Goethe sie erst später zurück erhielt) geben diese Briefe eine Vorstellung von dem Verhältniß Goethe’s zu dem wunderlichen Manne, der persönlich einen so starken und nicht eben günstigen Einfluß auf den elf Jahre jüngeren Freund geübt hat. Jetzt halten wir nun das sonderbarste Denkmälchen dieses Verkehrs in Händen. Denn Behrisch ist an unserem Bändchen betheiligt, zunächst als Censor, dann als Kalligraph und Zeichner. Behrisch veranstalte von seinen Gedichten eine neue Ausgabe, schreibt Goethe seiner Schwester in dem schon citirten Briefe: une nouvelle édition qui surpassera tout ce qu’on a vu de tel. Und spaßhaft feierlich berichtet er: der große poetische Rath habe sich versammelt und über seine sämmtlichen Dichtungen, so an der Pleiße entstanden, zu Gericht gesessen. Conclu fut que le tout seroit condamné a l’obscurité de mon coffre hormis douze pièces qui seroit (seroient) écrites en pleine magnificence, inconnue jusque lors au monde, sur 50 feuilles in octavo minore et que le titre seroit Annette. Sonst habe er, um die Zeit seines Geburtstages, aus seinen Jahresarbeiten einen Quartband von 500 Seiten zusammengebracht; jetzt, damit er doch in der Gewohnheit bleibe, dies Bändchen Gedichte. Le livre charmant de cinquante feuilles. Da haben wir die Geschichte unseres Bändchens, und der Augenschein sagt unwiderleglich: es ist dasselbe, dessen Zustandekommen Goethe im siebenten Buche der Biographie so genau beschrieben hat. Zum grand conseil poétique haben sicherlich nur Goethe und Behrisch sich zusammengefunden. Goethe gibt das Versprechen, nichts von den bisherigen Dichtungen drucken zu lassen. Behrisch erklärt sich zum Lohne für solche Fügsamkeit bereit, die Stücke, die er für gut halte, so zu verewigen, wie es kein Buchdrucker je vermögen werde. Mit komischer Umständlichkeit trifft er seine Anstalten dazu. Papier, Format und Schriftart, Tusche und Rabenfedern, Alles wird aufs Gründlichste berathen und beschafft und das Schreiben selbst bedächtig wie eine Staatsaction vollführt. „Ein allerliebstes Manuscript“ war die Frucht dieser Liebesmühe. „Die Titel der Gedichte waren Fractur, die Verse selbst von einer stehenden sächsischen Handschrift, an dem Ende eines jeden Gedichtes eine analoge Vignette, die er entweder irgendwo ausgewählt oder auch wohl selbst erfunden hatte, wobei er die Schraffuren der Holzschnitte und Druckerstöcke, die man bei solchen Gelegenheiten braucht, gar zierlich nachzuahmen wußte.“ Es stimmt Alles, Zug für Zug, nur daß die Vignetten, wahre Meisterstückchen in ihrer Art, nicht bloß am Ende, sondern auch zu Anfang der einzelnen Stücke angebracht sind.

Empfohlene Zitierweise:
Bernhard Ludwig Suphan: Das Buch Annette, Deutsche Rundschau, Berlin: Paetel, 1985, Seite 140. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Suphan_Das_Buch_Annette_002.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)