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ein Witzwort zum Besten, welches Kaspar Netscher bis an seinen Tod als die schrecklichste Beleidigung ansah, während seine schöne Frau jedesmal selig lächelte, so oft auf dies Thema hingedeutet wurde.

Das Schlagwort hieß aber: Kaspar ist in Italien gewesen! Und was mehr sagen will, er hat sein ganzes Italien nach Holland mitgebracht.

Wir theilen hier die Geschichte mit, welcher dieses Wort seine Entstehung verdankte. Sie steht zugleich in nächster Beziehung zu Netschers Bilde, die Nähterin, ein Gemälde, von welchem sich Netscher lange Zeit nicht trennen mochte und welches heute der königlichen Gemäldegallerie zu Dresden angehört.

Etwa fünfundzwanzig Jahre alt, kam Kaspar Netscher an einem sehr kühlen Herbstabende durch das Seethor des alten Bordeaux und durchschnitt, durchaus rathlos, die gewundenen finstern Straßen. Mancher der Franzmänner, manches der schönen Mädchen blickte den fremdgekleideten jungen Mann mit nicht geringem Interesse an, denn der Maler war hoch und stolz gewachsen, hatte ein sanftes, echtes Künstlergesicht, langes, prachtvolles, blondes Haar und einen weichen, krausen, spanischen Bart. Ein mächtiger mit Federn geschmückter Krämpenhut bedeckte seinen Kopf; ein niederländisches Wamms mit rothen, seidnen Puffen und weiten Pluderhosen hoben noch die Stattlichkeit seines Wuchses. Uebrigens waren diese Kleider, wie man selbst in der Dämmerung des Abends sah, sehr abgetragen und der Aufzug des jungen Mannes ließ vermuthen, daß er in dem Ranzen, welchen er auf dem Rücken trug, seine ganze fahrende Habe barg. Dennoch wäre es nach dem trotzigen Blicke des Wanderers nicht gerathen gewesen, ihn mit einem Lächeln zu betrachten; und was diesem herausfordernden Blicke einen besondern Nachdruck gab, das war ein quer über das Ränzchen geschnallter Raufdegen zu Hieb und Stich mit schön verzierter Lederscheide und mit einem kunstvoll gearbeiteten, vergoldeten Handkorbe.

Kaspar Netscher kam aus den Niederlanden, um sich nach Rom zu begeben. Aber seine bei seinem Ausmarsche vom Haag nur leichtbeschwerte Geldbörse war schon drei Tagemärsche vor Bordeaux bis auf den letzten Sol geleert. Ermüdet, hungrig, einsam wie ein Schiffbrüchiger auf dem Meere, ohne Hoffnung ein bekanntes Menschengesicht zu erblicken, welchem er seine Noth hätte klagen können, marschirte der arme Maler durch die Straßen, um eine Herberge aufzufinden. Schon an verschiedenen Thüren hatte er angepocht, den Wirth herausgerufen und ihn gefragt:

– Beherbergt Ihr hier einen fahrenden Künstler, wenn er Euch oder einen von Euren Angehörigen nach der Kunst abconterfeit?

Dieu m’en préserve! war die Antwort gewesen.

Netscher verließ, das Haupt immer tiefer und betrübter senkend, die breiten Hauptstraßen, um ärmere und barmherzigere Schenkwirthe aufzusuchen. In einem dieser Gäßchen waren die Thüren eines Gasthauses weit geöffnet. Es war helles Licht in den Zimmern, heitere, lärmende Gesellschaften von Seeleuten trieben da ihr Wesen und einladend stand ein dicker Mann mit weißer Schürze, sehr selbstgefällig lächelnd, in der Thür unter der großen Laterne und rief, wenn etwa ein Zug taumelnder Matrosen die Straße passirte, mit der einschmeichelndsten Stimme von der Welt die Leute an, um an den Freuden seines Paradieses Theil zu nehmen.

– Wir haben kein Geld mehr! erwiderten drei Seemänner, welche dicht vor Kaspar Netscher gingen, den Anruf des Gastgebers. Wir sind rein ausgepocht, haben auch keinen Durst mehr, und da sind wir, Sang de Dieu! heute Abend für Dich wettermäßig überflüssige Maate.

Empfohlene Zitierweise:
Text von Adolph Görling: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie. Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne, Leipzig und Dresden 1848−1851, Seite 74. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Stahlstich-Sammlung_der_vorz%C3%BCglichsten_Gem%C3%A4lde_der_Dresdener_Gallerie.pdf/91&oldid=- (Version vom 1.8.2018)