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– Ich sage es nicht! hatte der Pater Rochus auf alle Fragen und Bitten geantwortet, worüber der Prior ganz tiefsinnig wurde, obgleich sein Reichthum sich reißend schnell vermehrte.

Der Erzbischof von Cambray überraschte die beiden laborirenden Capuziner eines Tages fast bei der Arbeit. Er und sein Gefolge besahen sich das Marienbild und dann kündigte der Würdenträger dem Bruder Rochus an, daß er für seine bei der Pest erworbenen Verdienste am andern Tage im Dome zu Huy als Priester geweiht werden solle. Vergebens betheuerte Rochus, daß das Marienbild die Heilungen bewirkt habe; der Erzbischof drehte verachtend dem Bilde, das ihm vielen Aerger verursacht hatte, den Rücken und befahl, sich bereit zu halten.

An demselben Abende heulte und schrie Prior Deodatus durch die zerfallenen Mauern seines Klosters. Pater Rochus war fort, sein Schnappsack, seine Instrumente und – sein Geheimniß mit ihm. Der Prior ließ die Bauern aufbieten und diese brachten am andern Morgen den flüchtigen Capuziner richtig wieder in’s Kloster. Rochus mußte neben dem Prior mit einer Procession nach Huy gehen, und sich zum Priester weihen lassen. Seit dieser Zeit sagte er kein Wort mehr, arbeitete auch nicht mehr. Der Prior verzweifelte.

– Du sollst nichts mehr thun, rief er, ich wills allein machen . . . Sag mir aber die Kunst, sag sie . . .

Rochus schwieg wie ein Trappist. Er mochte etwa fünfzehn Monate im Kloster gewesen sein, als der Prior eine Gelegenheit fand, seinen widerspenstigen Untergebenen in die Gewalt zu bekommen. Es war eines Abends im Herbst die Klosterglocke geläutet. Der Prior sah aus dem Fenster: eine Gesellschaft von armen Reisenden befand sich vor der Thür und bat um Almosen. Ein alter, bärtiger Jude mit einem Zinngießer-Korbe auf dem Rücken stand neben seinem zerlumpten Weibe, die ein etwa zweijähriges Kind auf dem Arm trug und mit gellender Stimme ihren schwarzkopfigen sechsjährigen Jungen rief, welcher noch immer an der Thürglocke zog. Baarhäuptig, mit ungeschornem Kinn stand beschämt ein kaum dreißigjähriger Mann hinter ihnen – er trug die Kleidung eines Festungssclaven mit der odiösen Nummer auf Brust und Rücken. Augenscheinlich hatte er seine Strafzeit überstanden und kehrte in die Heimath zurück – ein saurer Weg. Dicht am Eingange der offnen Pforte saß ein jugendliches Weib, eine Jüdin mit festgebundenem Kopftuch. Sie war besser, als die Andern gekleidet und blickte starr und trübe zur Erde, während sie ihr kleines Kind tränkte. Deodatus sah gleichgültig über diese Gruppen hinweg, als Pater Rochus mit dem großen Küchenlöffel erschien, welcher mit kalter Hafersuppe gefüllt war. Der Alte zog eine Schale hervor und Judoh, der Junge empfing triumphirend seine Portion. Dem Sträfling brachte Rochus als er zum zweiten Mal erschien, selbst eine alte Schale. Kaum aber hatte er den Mann befriedigt, so ließ der Capuziner seinen Löffel fallen und erhob beide Arme zum Himmel. Die an der Pforte sitzende Frau hatte ihm das Gesicht zugewandt.

– Mirjam! rief der Pater und im nächsten Augenblicke hatte er das Weib und ihr Kind umschlungen.

– Ben Salomon! Mein Herr und mein Gatte! kreischte die Frau. Ich sehe Dich wieder . . . Aber, o Adonai, wie sehe ich Dich wieder . . . Du bist ein Christ und ein Priester, gleich unsern Verfolgern geworden . . .

Ben Salomon besann sich.

Empfohlene Zitierweise:
Text von Adolph Görling: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie. Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne, Leipzig und Dresden 1848−1851, Seite 880. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Stahlstich-Sammlung_der_vorz%C3%BCglichsten_Gem%C3%A4lde_der_Dresdener_Gallerie.pdf/897&oldid=- (Version vom 1.8.2018)