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Jacob und Rahel.
Von G. da Castelfranco.

Das lieblichste Idyll lächelt uns aus diesem Gemälde Giorgiones in heiterster Ruhe entgegen. Ein malerisches Thal öffnet sich; schöne Heerden weiden auf dem Wiesengrün; Schafe werden am schattigen Waldessaum getränkt und dicht vor dem Beschauer fesselt eine einfache, herzliche Scene verwandtschaftlicher Zärtlichkeit den Blick. Volle, gerundete Formen, treffliche Anordnung und eine meistermäßige Perspective lassen sofort erkennen, daß der Maler dieses Bildes den gerechtesten Anspruch auf die Anerkennung der Nachwelt besitzt, wie seine Kunst der Gegenstand der Bewunderung seiner Zeitgenossen war. Giorgione Barbarelli zu Castelfranco 1477 geboren, der Zeitgenosse und Rival des großen Tizians, und der Schüler Giovanni Bellini’s brach in der venetianischen Schule die Bahn zu einer freiern, kühnern Zeichnung, die bis dahin zumeist Härte und Trockenheit gezeigt hatte. Seine Umrisse waren weich, zart, wellenförmig; er führte den Pinsel in leichter, breiter Weise, und verschmähte die ängstliche Sorgfalt des kleinlichen Ausmalens, um große malerische Effecte namentlich in der Gewandung zu erreichen. Sein Colorit ist blühend, oft brillant; seine Landschaften sind naturwahr und warm gemalt. Es ist zu bedauern, daß der Maler nur ein Alter von vierunddreißig Jahren erreichte. Seine Costüme sind selten historisch richtig, denn nur ein Raphael vermochte aus sich selbst heraus ein treffendes Idealcostüm zu schaffen; der großen Vorzüge des Castelfranco wegen wird man, obwohl die Illusion eine Störung dadurch erleidet, gern über hierhergehörige Mängel fortsehen.




Madonna.
Von Sassoferrato.

Dieser Meister, ein Schüler Guido’s und Domenichinos’ und der caracci’schen Schule folgend, ward zu Sassoferrato 1605 geboren und nannte sich nach seiner Vaterstadt. Sein eigentlicher Name war Giambattista Salvi. Alle seine bessern Werke verrathen den überwiegenden Einfluß, welchen das mit Geist und Talent eifrig betriebene Studium der Schöpfungen Raphaels auf den Künstler ausgeübt hat. Sehr oft erreicht er die milde Lieblichkeit des Urbiners, dagegen mangelt ihm die Erhabenheit, der hehre Adel desselben und selbst dann, wenn Sassoferrato, wie es oft der Fall ist, geradezu den Raphael nachahmt und seiner Motive sich bemächtigt, kann man den kühnen, begeisterten Schwung des Vorbildes bei dem Schüler nicht wiederfinden. Doch sind mehre seiner besten Gemälde selbst von geübten Kennern als Werke Raphaels angesehen, gewiß ein schlagendes Zeichen der Vortrefflichkeit Sassoferratos. Die meisten Bilder desselben stellen Madonnen dar, und unter diesen behauptet die hier gegebene heilige Jungfrau in den Wolken, mit dem schlafenden Christkinde auf den Knien einen namhaften Rang. Vortrefflich gelingt dem Sassoferrato der Ausdruck himmlischer Reinheit und Demuth im Antlitze der Madonna. Sein Faltenwurf ist nicht voll und frei; aber die blaue Gewandung seiner

Empfohlene Zitierweise:
Text von Adolph Görling: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie. Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne, Leipzig und Dresden 1848−1851, Seite 822. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Stahlstich-Sammlung_der_vorz%C3%BCglichsten_Gem%C3%A4lde_der_Dresdener_Gallerie.pdf/839&oldid=- (Version vom 1.8.2018)