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Bacchi aedem feramus pedem . . . Komm, Mieris! überlaß es heute Deiner Geliebten, den Weg nach Hause allein zu finden.

– Ihr irrt, sagte Mieris; es ist nicht daran zu denken, daß Diejenige, welche ich suche, meine Geliebte ist . . .

– Gut, sie soll’s also werden! bemerkte Schalken.

– Wie man’s nimmt! Kennt ihr den reichen Mynheer van der Werff? Er hat seine Fabriken am alten Rhein. Wohlan, dieser ehrliche Bursch besitzt nicht allein eine der schönsten Kunstsammlungen, sondern auch in seiner Tochter Julia eines der schönsten Mädchen der siebzehn Provinzen. Das würde mich an sich wenig interessiren, aber diese Julie, dies achtzehnjährige, reizende, lebenswarme Geschöpf, welchem, jung, schön und reich, wie sie ist, der ganze Himmel der Erde zu Gebote steht, hat den Einfall, eine Heilige werden zu wollen, und wirklich wird sie in den nächsten vierzehn Tagen schon Profeß thun und sich in einem Kloster in Brüssel lebendig begraben lassen. Ist das nicht originell genug, nicht zu herausfordernd, um zu versuchen, dieser Kleinen einen Begriff vom Leben beizubringen und ihr zu dem Zwecke die Empfindungen der Liebe einzuflößen, um sie aus den Klauen der Klosterfrauen und der Pater zu erretten?

– Nein, flüsterte Veen, der, ungeachtet er den ungebundensten Lebenswandel führte, dennoch nicht wenig bigott war, nein, Franz, ich glaube: das ist Sünde.

Schalken lächelte ironisch; Franz van Mieris lachte hell auf.

– Nie noch hatte ich bei meinen Abenteuern eine moralischere Absicht! sprach Mieris. Ist’s denn eine Kleinigkeit, wenn ein solches Menschenleben buchstäblich verloren geht? Ich habe so viele Schulden, daß ich mein Atelier, um nur einige Stunden ungestört arbeiten zu können, wie eine Festung verrammeln muß; ich muß mich in meinen Mauern eben so tapfer halten, wie die Bewohner dieses alten Lugdunum gegen die Spanier, seligen Andenkens, ohne Hoffnung zu haben, daß mir ein neuer Wilhelm von Oranien einen Entsatz in der Gestalt gespickter Geldsäcke zuführt. Dennoch lebe das Leben! Ich werde Julia van der Werff retten und zum Danke hoffe ich ihre schöne Hand mit einigen zwanzigtausend Goldgülden zu erhalten. Ein Dienst ist des andern werth . . . Platz, Schalken; tritt zur Seite, Veen; da kommt Mynheer mit der zukünftigen Nonne . . . Mein Abenteuer hat begonnen . . .

Die beiden Freunde gingen ziemlich unzufrieden fort, indeß Mieris schnell einer Gruppe von drei Personen folgte.

Diese waren Mynheer Cornelius van der Werff, ein reicher Kaufherr, welcher im Besitz der ausgezeichnetsten Tuchfabriken Leydens war. Van der Werff stammte aus einem alten, edlen Geschlechte, und jener Bürgermeister Werff, welcher 1576 Leyden so heldenmüthig vertheidigte und den Bürgern, die ihn, wüthend vor Hunger und Entbehrung, um Lebensmittel bestürmten, zurief: Hier bin ich, theilt meinen Leichnam unter Euch, aber sprecht nicht von Uebergabe an die Spanier! dieser Held war ein Vorfahr des würdigen Mynheer Cornelius. Er besaß, wie Mieris andeutete, wirklich kostbare Gemäldesammlungen, Münzen, Medaillen und Sculpturwerke, war ein guter Kunstkenner und hatte sich längere Zeit in Italien aufgehalten, um die Werke der Kunst zu studiren. Von dieser Zeit schrieb sich auch sein sehr eifriger Katholicismus her, der in noch höherem Grade auf seine Tochter Julia übergegangen war. Uebrigens war Cornelius

Empfohlene Zitierweise:
Text von Adolph Görling: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie. Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne, Leipzig und Dresden 1848−1851, Seite 62. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Stahlstich-Sammlung_der_vorz%C3%BCglichsten_Gem%C3%A4lde_der_Dresdener_Gallerie.pdf/79&oldid=- (Version vom 1.8.2018)