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und großartiger aufzuweisen haben, war von dem bunten Gefühle der Heimwandelnden erfüllt. Die meisten der mit silber- und goldverzierten Andachtsbüchern versehenen Männer, Frauen und Mädchen gingen, die Worte des Priesters noch im Gedächtnisse habend, still und nachdenklich und unterhielten sich nur mit halblauter Stimme. Aber bald kam mehr Bewegung in diese scheinbar unempfindlichen, phlegmatischen Massen.

Gruppen von lebensfrohen Studenten mischten sich heiter lachend unter die Bürger mit ihren Familien; von anderer Seite kamen die treuen Genossen der Studenten bei jeder öffentlichen Lustbarkeit, die Malerschüler, sammt den jungen, zu Lust und Scherz noch aufgelegten Meistern – und es begannen harmlose Neckereien: die Jünglinge redeten die ernsten Alten an, erboten sich, die ehrsamen, dicken Bürgerfrauen zu geleiten, oder suchten sich zu Paladinen der jungen, sittsam dahin wandelnden Mädchen aufzuwerfen.

In diesem Menschengewirre wanderte auch ein etwa sechsundzwanzigjähriger Mann, dessen sorgloser Blick sich beobachtend nach allen Richtungen wandte. Er war eben so schlank als zierlich gewachsen und sein Anzug war, wie man in dem Lichte der allenthalben strahlenden, großen Staatslaternen und Wachsfackeln sehen konnte, geschmackvoll und reich zu gleicher Zeit. Sein schwarzsammtnes, mit Silberschnuren geziertes Barett ließ ihn als einen Maler erkennen. Seine reichen, stark gelockten Haare umgaben ein etwas blasses, aber feines, geistreiches Gesicht. Den kurzen Mantel hatte der Maler von beiden Armen zurückgeworfen und die an den Gelenken mit reichen Manschetten gezierten Hände nachlässig in die Taschen der weiten Pluderhosen gesteckt.

Die alten Männer und Frauen schüttelten die Köpfe, als dieser junge Mann stolz durch die Menge dahinschritt. Die schönen Mädchen aber stießen sich verstohlen an und flüsterten, nicht ohne einen wohlgefälligen Blick auf denselben zu werfen:

– Das ist der leichtsinnige Maler; das ist Franz van Mieris!

Franz van Mieris, sicherlich einer der ausgezeichnetsten Künstler der niederländischen Schule, der sich mit seinen Werken dreist neben seinen Meister Gerard Dow und neben Terbourg stellen konnte, war’s wirklich. Der Künstler, seiner ungebundenen, genialen Laune folgend, war auf der Jagd, um irgend ein pikantes Abenteuer zu suchen.

Zwei junge Männer seines Alters erreichten ihn und hielten ihn an.

– Wohin, Franz? rief der eine, eine derbe, kräftige Gestalt, der Busenfreund Franz van Mieris’, der Maler Johann Veen.

– Geh mit uns zum italienischen Kaffeehause! sprach der andre, Gottfried Schalken von Dortrecht, welcher unter Dow mit Mieris seine Studien gemacht hatte, ein bärtiger, schöner junger Mann, dessen Mienen ebenso düster waren, wie seine herrlichen nächtlichen Bilder mit der unvergleichlichen Beleuchtung.

– Ich danke für Eure Einladung! erwiderte Mieris ziemlich zerstreut; ich habe heute Abend etwas Interessanteres, als den Kaffee und den Rothwein Signor Bertini’s zu suchen. Bleibt nicht stehen; nehmt Abschied für heute, oder geht mit mir . . .

– Sicherlich wieder eine Deiner Liebesgeschichten; murmelte Johann Veen, sehr mißmuthig bei dem Gedanken, daß der heitere Kumpan in der fröhlichen Zechgesellschaft an diesem Abende fehlen sollte. Ich frage Dich, Mieris, wozu dieses ewige Umherrennen? Bedarf man etwa mehr als ausgezeichneten Wein, um sich wirklich wie ein Heiliger in der Verklärung zu befinden? – In

Empfohlene Zitierweise:
Text von Adolph Görling: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie. Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne, Leipzig und Dresden 1848−1851, Seite 61. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Stahlstich-Sammlung_der_vorz%C3%BCglichsten_Gem%C3%A4lde_der_Dresdener_Gallerie.pdf/78&oldid=- (Version vom 1.8.2018)