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Rubens dämpfte seine Stimme, strich sich die nassen Streifen langen Haares aus dem Gesichte und begann:

– Hier wohnt die Gräfin Lalaing.

– Ah, das ist eine Liebesangelegenheit! Ihr habt Madame la Comtesse zu sehen gewünscht?

– Nichts weniger. Die Gräfin ist übrigens Wittwe . . .

– Thut nichts, Herr Maler!

– Und fünfundsechzig Jahre alt.

Der Prinz brach in ein helles Lachen aus.

– Ja das, mein Freund, das allerdings verändert die Sache! bemerkte er sehr heiter werdend.

– Bei dieser Gräfin ward ich, bevor ich noch wußte, daß ich ein Maler war, Page. Ich habe an der Dame eine gütige Herrin, an ihrem Sohne, dem Grafen, fast einen Freund gefunden: so lange, bis Maria von Lalaing, die einzige Tochter der Gräfin, mich mit einer, mir bis dahin fremden, Leidenschaft erfüllte, mich bezauberte und mich fast wahnsinnig machte. Denn Wahnsinn hieß es, daß ich, kaum siebenzehn Jahre alt und dazu weder reich noch adelig, von der Güte der Gräfin die Hand ihrer Tochter erwartete. Von diesem Augenblicke bis zu meinem Abschiede aus dem Dienste erduldete ich eine Art von Höllenqual; die Comtesse und Franz, der junge Graf, suchten mich mit Gewalt festzuhalten, um mir nach allen Kräften mein Verbrechen zu Gemüthe zu führen. Maria erlitt eine Strafe, die sie mir, der aus diesem Hause entfloh, nicht anzuthun vermochten: sie ward für die Unbesonnenheit, einen armen Pagen geliebt zu haben, in ein Kloster der Ursulinerinnen nach Ysselland gesteckt. Ich ward Maler . . .

– Bei welchem Meister? unterbrach ihn jetzt der Prinz.

– Bei Theodor Verhaegt und bei Mynheer van Oort.

– Die Meister sind nicht gut, junger Mann, brummte Moritz; fahrt indeß fort.

– Und während der zwei Jahre, von damals bis jetzt – ich bin neunzehn Jahre alt – schrieb mir Maria aus dem Kloster drei Briefe, in denen sie mir ihr Elend klagte und die Niederländer herbeiwünschte, damit sie das Kloster abbrennen und die Nonnen befreien.

– Das ist ein sehr gutgesinntes und verständiges Mädchen! sagte der Prinz. Aber meine – unsere Leute sind doch, meine ich, in der Ysseler Gegend gewesen; haben auch ziemlich aufgeräumt . . .

– Ihr sagt recht, Herr Offizier: das Kloster, in welchem Maria war, hat Moritz von Oranien geplündert . . .

– O, o! er selbst wird wohl nicht geholfen haben!

– Aber es ist ausgeplündert, wiederholte der Maler. Maria ist geflohen und zu mir. Bereits am andern Tage aber hatten die Lalaing’s ihre Anwesenheit hier erfahren und Gerichtsdiener kamen und führten das Mädchen mit Gewalt fort. Jetzt hat sie mir sagen lassen, wenn ich sie heute Nacht nicht befreien könne: so sei sie verloren; denn sie werde morgen früh von ihrem Bruder mit starker Begleitung nach Valenciennes in ein Kloster gebracht. Da sind ihre Fenster und hier bin ich!

Empfohlene Zitierweise:
Text von Adolph Görling: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie. Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne, Leipzig und Dresden 1848−1851, Seite 565. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Stahlstich-Sammlung_der_vorz%C3%BCglichsten_Gem%C3%A4lde_der_Dresdener_Gallerie.pdf/582&oldid=- (Version vom 1.8.2018)