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den Charakter einer Studie tragend, dürfte die schwächste sein, und Carlo Dolce’s Bild darf, auch nicht mit dem der beiden andern Meister verglichen werden. Hier ist keine gotterfüllte Seherin, welche in vollen Orgeltönen und im Gesange die von lichteren Sphären nur ihr hörbar erklingenden Engelshymnen ausströmt, um wunderbar die Herzen der Menschen dem Könige aller Himmel zuzuwenden. Aber eine solche schwungreiche Auffassung ist auch Carlo Dolce’s Sache nicht. Er glänzt auf einem andern Felde.

Die sanfteste Weichheit, die zarteste, reinste Innerlichkeit in seinen Bildern wiederzuspiegeln, alle entsagenden, duldenden Tugenden mit der Verklärung, welche sie über das Menschenantlitz hauchen, zur Erscheinung zu bringen, das ist das große Geheimniß seines Meisterpinsels. Und so giebt er auch von der heiligen Cäcilia nach seiner Auffassungsweise ein erschöpfendes Bildniß, von einem engelartigen Ausdrucke in Blick und Mienen. Ihr selbst unbewußt scheint das Geschenk der himmlischen Töne in ihrem Innern zu ruhen. Sie beugt sich leicht, als vernähme sie das Säuseln und Flüstern der schwebenden Heerschaaren; ihr Blick ist vergeistigt, tief in die Welt heiliger Töne versenkt. Wahrlich merkwürdig und selbst dem ungeübten Beschauer auffallend aber ist die erhabene, von keinem Irdischen zu trübende Ruhe der Jungfrau, die wahre Ruhe einer Heiligen, die Carlo Dolce über dies Bildniß ausgoß. Und dennoch thut diese Ruhe der unbeschreiblichen, sanftmüthigen Ergebung der Heiligen nicht nur keinen Eintrag, sondern hebt sie noch vielmehr. Die Malerei dieses Stücks ist weich, ohne matt zu sein, ein Fehler, den Carlo Dolce nicht immer vermeidet; die Drapirung hat das Unklare, Bauschigte, welches der Maler gern anbringt.

Von einem Maler geschaffen, der als der Zarteste auf dem einen Flügel der glänzenden Reihe der italienischen Meister steht, indeß der Stärkste, Gewaltigste, Michel Angelo, die entgegengesetzte Richtung schließt, verdient dies Bild nicht geringe Aufmerksamkeit. So kann man auch von dem willkürlichen Costume, von der unrichtigen Form der Orgel nach damaliger Zeit absehen. Der Kern und Gehalt des Genius von Dolce, dieses Malers mit dem Kindesgemüthe, bricht glänzend durch alle diese Verhüllungen hervor.




Wildschweins-Jagd.
Von Peter Paul Rubens.

Das alte Antwerpen hatte im Frühlinge des Jahres 1596 einige stürmische Tage erlebt. Die Parteien hatten sich gesondert und standen einander gegenüber; es war zu blutigen Auftritten gekommen, in denen die nationale Partei gegen die dem tirannischen Königshause von Spanien anhängende das Uebergewicht behauptete. Um die katholische Partei vollends niederzudrücken, erschien der Statthalter, Oranien, selbst und streckte über die Stadt seine schon damals eiserne Hand aus. Es ward in den Straßen, wo sonst bis Mitternacht reges Leben zu herrschen

Empfohlene Zitierweise:
Text von Adolph Görling: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie. Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne, Leipzig und Dresden 1848−1851, Seite 557. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Stahlstich-Sammlung_der_vorz%C3%BCglichsten_Gem%C3%A4lde_der_Dresdener_Gallerie.pdf/574&oldid=- (Version vom 1.8.2018)