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Aart schwieg lange Zeit. Dann aber sagte er mit zwar tiefer, aber fester Stimme:

– Meister, noch hat Niemand in der Welt das Herz eines Weibes ergründet. Wißt Ihr, ob die tiefste Falte von Jakobäa’s Herzen nicht dennoch mein Glück birgt? Mynheer, sie hat mich zuerst geliebt; Jakobäa’s erste Liebe bin ich und nimmermehr hat ein Mädchen eine bessere und tiefere und unauslöschlichere zu vergeben.

– Du willst also . . .?

– Ja, ich werde versuchen, was ich thun kann, um diese Tigerin dennoch zu bewegen.

Netscher zuckte die Achseln und wurde ziemlich finster.

– Gute Nacht, Mynheer! sagte er, nach der Thür greifend.

Aart ging fort.

– Wenn die Menschen Narren sind, brummte der Alte für sich hin, so pflegen sie’s in den Köpfen zu haben.

Der Malerschüler aber ging rasch die Straßen vom Haag durch, bis er fast athemlos ein langgestrecktes, mächtiges Gebäude erreicht hatte, dessen herrliche Gärten sich bis zu dem damals noch näher an das „Dorf“ reichenden Busch van Haag erstreckten. Hier wohnte Mynheer de Thouens, hier weilte Jakobäa; über diese prachtvollen Schwellen war Aart de Sluyner unzählige Mal geschlüpft, als der alte de Thouens den Sohn seines armen Vetters noch für eine unverdächtige Bekanntschaft seiner geldschweren Tochter hielt.

Mit pochenden Pulsen trat der jetzt von hier feierlich Verwiesene in de Thouens’ Haus ein. Auf dem Flur umfing ihn Lichterglanz; zahlreiche Diener standen hier; man erwartete augenscheinlich Gesellschaft. Die Diener blickten den Maler mit seinem alten Barett, mit den prächtig-schwarzen Locken und den noch schwärzeren großen Augensternen halb mitleidig, halb spöttisch an. Er selbst verlor fast völlig die Fassung, als er auf sein nichthochzeitliches Kleid, auf seinen farbenbeklecksten, defecten Sammetmantel blickte.

– Ich bin einmal hier und ich werde sie sehen! rief er sich jedoch energisch zu und rannte die Treppen zu Jakobäa’s Zimmer hinan.

Oben traf er die Angebetete. Jakobäa war wirklich von großer, aber ziemlich kalter Schönheit; es war eine „sittige, genügendreiche, ehrsame Jungfrau Niederlands“, für Aart jedoch das Ideal aller vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Frauenschönheit.

– Du, Aart? rief Jakobäa, sich vom Sitze erhebend, mit ziemlicher Ruhe. Und wie siehst Du aus? Ich dachte mir’s, daß Du unklug genug wärest, um dennoch hier wieder zu erscheinen . . .

Aart athmete seit langen Tagen zum ersten Mal frei auf. Dieser Empfang? War dies nicht noch immer Liebe? Leider war hier durchaus von keiner Liebe die Rede. Die reiche Jakobäa, das körperlich auf der höchsten Blüthenstufe stehende Weib, behandelte diesen armen Aart, der ein Jahr jünger als sie selbst war, gleich einem Kinde und führte ihm in sehr ruhiger Weise seinen Unverstand zu Gemüthe, sich mit Gewalt zu ihrem Geliebten oder gar Bräutigam machen zu wollen. Aart war zerschmettert. Er hätte Alles ertragen, Zorn, wilde Beleidigungen, aber diese zermalmende Ruhe? Er hörte nur wie im Traume, als ihm Jakobäa Vorstellungen machte.

– Ich will Dich zu meinem Hochzeittage neu einkleiden lassen! sagte sie mitleidig. Du kannst ja kaum mit Anstand Dich vor den Leuten zeigen. Einen Mantel geb’ ich Dir und mein

Empfohlene Zitierweise:
Text von Adolph Görling: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie. Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne, Leipzig und Dresden 1848−1851, Seite 207. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Stahlstich-Sammlung_der_vorz%C3%BCglichsten_Gem%C3%A4lde_der_Dresdener_Gallerie.pdf/224&oldid=- (Version vom 1.8.2018)