Seite:Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie.pdf/218

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

wenn der Inhalt derselben zu unbedeutend ist, ein gewissermaßen ängstliches Gefühl rege; so entzückt sie bei den Landschaften dafür um so mehr. Wir sehen die Natur selbst und über dem Eindruck, den diese vollendete Auffassung der Gegenden in ihren verschiedenen Erscheinungen hervorbringt, übersehen wir gern die bei Manchem höchst einfache Composition.

In der Kunst der Composition treffen wir indeß an Ostade einen Meister. Seine Landschaften zeigen einen großen Reichthum der Scenerie, und sind, obgleich weniger kühn als lieblich, durch ihr reges Leben, durch ihre vortreffliche Abrundung zu einem Ganzen, wie durch die geistreiche Behandlung im hohen Grade fesselnd. Ostade’s Landschaften sind keine Dichtungen wie die von Ruisdael; er idealisirt nicht, aber die harmonische Zusammenstellung seiner Gegenstände, das ausgeprägt Charakteristische, welches in dieser Anordnung stets vorherrschend bleibt, so wie die wundervolle Zeichnung und Technik selbst, verfehlt dennoch nicht in unserm Gemüth die Wirkung hervorzubringen, welche der Meister hervorrufen wollte. Klarheit und kräftiger Pinsel zeigen sich bei jeder Ostade’schen Landschaft. Die Luftperspective ist von täuschender Wahrheit. Die Staffage des Genremalers würdig. Eine seiner Winterlandschaften, unter denen die vorliegende einen bedeutenden Rang behauptet, zu betrachten, ist ein hoher Genuß. Hier kann der Maler seine ganze krystallene Reinheit und zugleich das Markige, welches ihm eigen ist, zur Anschauung bringen, während die, die Landschaft belebenden Figuren, mit gefälligster Correctheit gezeichnet, nicht selten Träger des Humors sind, welchen die meisten seiner Genrestücke athmen.




Eine Dame am Putztisch.
Von Kaspar Netscher.

Es war eines Abends, eben beim Beginne der Dämmerung, daß der Maler Kaspar Netscher, welcher seine übrigen Schüler bereits entlassen hatte, sich mit dem talentvollsten derselben, Aart de Sluyner, in dem Atelier allein befand. Augenscheinlich hatte der Meister, auf dessen blondem Scheitel schon ein Anflug von Weiß sich zeigte, nach seiner bekümmerten Miene dem Schüler etwas Wichtiges zu sagen.

Der junge Maler schien dies zu ahnen. Er wäre sicherlich gern dieser Unterredung überhoben gewesen; er war hier im Atelier nur mit Widerstreben. Absichtlich trug er eine solche Störrigkeit zur Schau, daß Kaspar Netscher wirklich einen Augenblick schwankte, ob er das, was er beabsichtigte, ausführen, oder den unzugänglich aussehenden, halsstarrigen Schüler sich selbst und seiner eignen Leitung überlassen wolle. Die Gutmüthigkeit, das liberale Temperament Netschers trug jedoch den Sieg davon.

Der Maler näherte sich langsam dem jungen Aart de Sluyner, legte die magere, aber fast durchsichtig weiße Hand auf die Schulter desselben und sprach mit sehr sanfter Stimme:

– Aart, mein Sohn, vernimm, was ich Dir ans Herz zu legen habe. Du wandelst über den Abgründen des Verbrechens und des Todes!

Empfohlene Zitierweise:
Text von Adolph Görling: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie. Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne, Leipzig und Dresden 1848−1851, Seite 201. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Stahlstich-Sammlung_der_vorz%C3%BCglichsten_Gem%C3%A4lde_der_Dresdener_Gallerie.pdf/218&oldid=- (Version vom 1.8.2018)