Seite:Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie.pdf/179

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Kleidungsstücke – deren Stoffe Dow täuschend malte – spielen ihre Rolle in der Lebensgeschichte der dargestellten Person. Durch den Anblick des bekannten, alltäglichen Beiwerks wird der Beschauer im Bilde heimisch; er fühlt sich gefesselt und gerührt. Die ganze Existenz harmloser Menschen rollt sich vor ihm auf, die Poesie wird lebendig und der Meister feiert seine Triumphe.

Gerard Dow ist unstreitig nach seiner durchaus richtigen Zeichnung, nach seiner herrlichen Färbung und seiner genauen Beleuchtung einer der ersten holländischen Genremaler. Er wird auch Dou oder Douw genannt und ist der 1613 zu Leyden geborne Sohn eines Glasmalers. Sein Tod erfolgte im Jahre 1680. Rembrandt war sein Lehrer; gleich ihm besaß Dow das Geheimniß der malerischen Harmonie im hohen Grade. Seine meist räumlich kleinen Gemälde sind sehr hoch geschätzt; die „wassersüchtige Frau“ ward mit 30,000 Gulden bezahlt; ebenfalls wurde unser Bild, der „Schreibmeister“, von der königlichen Gallerie zu Dresden zu einem ungemeinen Preise erstanden.

Wirklich ist dieser „Schreibmeister“ eine vollendet reine Perle Dow’scher Kunst. Jeder Zug, jede Linie im Bilde ist lebendig, und wenn jemals, so ist hier die gemüthlichste Ruhe, die heiterste Selbstzufriedenheit mit dichterischer Meisterschaft gemalt. Es ist vorzugsweise ein Bild, welches keine kritische Beschreibung erträgt, sondern empfunden sein will. Könnten wir daher auf den Inhalt des Gemäldes mit liebevollerer Genauigkeit eingehen, als dadurch, daß wir, während der Beschauung desselben, ein Stück poetischen Stilllebens hervorrufen? – Wir sind gewiß, daß wir damit zugleich die eigenthümliche Disposition in Dow’s Werken bezeichnen.

Gerard Dow konnte nicht wie die Teniers, Ostade’s, Brouwers und Bega’s die Vorbilder seiner Schöpfungen, den realen Grund seiner künstlerischen Phantasie und Conception, in jeder Dorf- oder Matrosenschenke finden. Er bedurfte eben so eigenthümlicher als anspruchsloser Charaktere und Situationen, welche sich zu Trägern der in dem häuslichen Leben sich spiegelnden Innerlichkeit eigneten. Ein wahres Pracht-Original dieser Gattung fand Dow’s sechzehnjährige Tochter Duyveke in einem alten, zu einer Armenschule eingerichteten Franciscanerkloster. Es befand sich hier ein kleines Gäßchen, daß Judengäßchen genannt, obgleich Amsterdam bekanntlich lange Zeit gar keine der Kinder des gelobten Landes innerhalb seines Weichbildes duldete. Auf dies dunkle Gäßchen sahen[1] einige der gewölbten Fenster des Klosters, und vor demjenigen, welches am meisten durch einige Strahlen der Sonne begünstigt war, saß vom frühen Morgen bis zum späten Abende Rafael Huelst, der Schreibmeister für die Armenschüler. Der siebzigjährige, silberlockige Junggesell nahm aber noch einen wichtigeren Platz ein; er schrieb mit der damals fast zu Grabe gegangenen Kunst der alten Zeit Urkunden und Documente für die Kanzleien der Generalstaaten. Duyveke flog zu ihrem Vater und beschrieb den alten Rafael Huelst mit seinem Barett, seiner Klemmbrille und seinem, die glücklichste Selbstzufriedenheit ausdrückenden, charakteristischen Gesichte, nicht minder mit dem noch aus Kaiser Karls V. Zeiten stammenden halb-spanischen Oberkleide so hinreißend, daß Gerard Dow von seiner Staffelei bedächtig aufstand, höchst sorgfältig das in Arbeit befindliche Gemälde durch ein seidenes Tuch vor etwaigem Staube schützte und, die Mappe unterm Arme, seine die bewunderungswürdigste Sauberkeit zeigende Werkstatt verließ.

Dow konnte den Eingang zu der alten Schule nicht finden. Er trat daher, indeß er seinen


  1. Vorlage: sahe
Empfohlene Zitierweise:
Text von Adolph Görling: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie. Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne, Leipzig und Dresden 1848−1851, Seite 162. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Stahlstich-Sammlung_der_vorz%C3%BCglichsten_Gem%C3%A4lde_der_Dresdener_Gallerie.pdf/179&oldid=- (Version vom 1.8.2018)