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List und Grausamkeit in den in der höchsten Mannigfaltigkeit glänzenden Gemälden darlegen, fesselten den König so sehr, daß er den Meister von Antwerpen nach Madrid berief.

Franz Snyders war kurz vor der Zeit, die wir vorhin schilderten, in Aranjuez angekommen und von dem Könige mit großer Freude empfangen. Von diesem Augenblicke an phantasirte der König, um Situationen zu Wolfs- und Keiler-Kämpfen zu erfinden; Snyders mußte demgemäß arbeiten. Alles dies genügte jedoch dem Herrscher nicht: „Ein Wolf ist kein edles Thier, der Eber ebenso wenig; Bären, die Könige der Wälder, muß ich auf Snyders Gemälden sehen!“

Graf Lerma widersprach nicht, als Philipp III. erklärte, in der Sierra Guadarama Bärenjagden anstellen zu wollen, um dem Maler aus den Niederlanden Gelegenheit zu geben, das gefürchtete Raubthier in wildem Zustande, in der unbeschränktesten Darlegung seines Naturells zu beobachten. Lerma hatte das Stillschweigen und die Unthätigkeit des Königs auf anderen Gebieten zu nothwendig, als daß er demselben seinen Einfall auszureden versucht hätte. Demgemäß erfolgte die Reise des Hofes in die Sierra Guadarama.

Der Meister selbst, eigentlich die Hauptperson bei dem Unternehmen, nahm sich gegen seine glänzende Umgebung fremdartig genug aus. Snyders war ein mittelgroßer, starkgebauter junger Mann, ernsten, fast schwermüthigen Ansehens, mit untadelhaftem, weißem Teint und hellen Locken. Seine Kleidung war reich, aber dunkelfarbig, wie diejenige seiner Landsleute. Er sah zwischen den grellfarbig geputzten, gelben Spaniern etwa wie Prinz Hamlet neben seiner Umgebung aus.

Eben sein schwermüthiges, poetisches Wesen aber wandte dem Niederländer die Gunst der spanischen Damen zu. Wie manches blitzende schöne Auge ruhte auf Snyders Gestalt mit süßem Wohlgefallen, und suchte dem Schüchternen durch zarte Lockungen zu einer Liebeswerbung Muth einzuflößen. Aber der Meister wandte sich von diesen mutherweckenden, herausfordernden, liebebegehrenden Blicken ab . . . Sein Herz war bereits von dem Strahle eines Auges berührt und tief im Innern getroffen, das, bescheidener und züchtiger als selbst das seinige, dennoch an Schönheit und jungfräulicher Blüthenfrische jedes andere der Damen des Königshofes übertraf. Dies war das Auge von Donna Mencia d’Albucalde. Sie war ein Mädchen von höchstens neunzehn Jahren, schlank, zierlich, fast zu zart gebaut, aber von einer Anmuth, von einem so fesselnden Wesen, daß neben der Jungfrau die gefeiertsten Schönheiten des spanischen Hofes, Donna Isabella Valdellos, Donna Bianca de Spinola, eine Verwandte des berühmten Feldherrn Spinola, der in dieser Zeit eben mit Erfolg gegen Moritz von Oranien in den Niederlanden kämpfte, in Nichts verschwanden.

Fast alle Damen des Königshofes waren von ächt spanischem Adel, das heißt, sie hatten gothisches Blut in ihren Adern. Donna Mencia d’Albucalde, aus Cordova gebürtig, gehörte jedoch von mütterlicher Seite den unglücklichen Moriscos an, deren letzte Reste Philipp III. und Comte de Lerma mit schonungsloser Gewalt von Spaniens Boden zu vertreiben strebten. Donna Mencia besaß die biegsame Taille, das geheimnißvolle glühende Auge der Mauren, und barg in ihrem Busen die volle Gluth des Orientes. Sie war Diejenige, welche der Maler Franz Snyders in verschwiegener Leidenschaft anbetete. Wohl aber hatte Donna Mencia den geheimen Sinn der Blicke des schönen Niederländers zu deuten gewußt. Durch einen unwiderstehlichen Zug des Herzens zu ihm hingezogen, hatte sie auf eben so zarte als innige Weise

Empfohlene Zitierweise:
Text von Adolph Görling: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie. Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne, Leipzig und Dresden 1848−1851, Seite 94. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Stahlstich-Sammlung_der_vorz%C3%BCglichsten_Gem%C3%A4lde_der_Dresdener_Gallerie.pdf/111&oldid=- (Version vom 1.8.2018)