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teilweise vorhanden ist), und die Abstinenten gehen an ihrem eigen Unsinn ein. Die Mehrzahl der derzeitigen Abstinenten verlangt Ersatzgetränke, um alkoholfreie Trinkunsitten durchführen zu können, nur dem – Wasser stehen sie sehr skeptisch gegenüber. Die vorhandenen Ersatzgetränke genügen aber den Bedürfnissen nicht und sind viel zu teuer oder im Geschmack unbefriedigend; nikotinfreie Zigarren und alkoholfreies Bier bedürfen nur noch einer Ergänzung durch eiweißfreies Fleisch. Viel abstinenter Unfug wird verständlich, wenn man erwägt, daß ruinierte Schlemmer und früher Unmäßige oder Kranke abstinent werden mußten und dann die größten Schreier sind.

Der Zwang zu Reizmitteln ist in der Kultur so fest begründet, daß sie nie zu beseitigen sind, und gute, reine alkoholische Getränke, wie leichtes Bier und leichter Wein, werden stets ihre volkswirtschaftliche Bedeutung als Genuß- und Erfrischungmittel behalten. Der Mißbrauch ist ein Grund gegen vernünftigen Gebrauch, und das Nachäffen ist doch nicht die einzige Triebfeder im Handeln des Erwachsenen. Die Abstinenz als taktisches Kampfmittel ist diskutiertbar, hat aber mit dem wüsten Geschrei der fanatischen Astinenten auch nur den Namen gemeinsam. Die Abstinenz ist auch Askese, und diese hat mehr geschadet als genützt, weil sie wohl Schwache vor dem Straucheln bewahrte, aber Charaktere nicht festigte. Deshalb steht sittlich die Mäßigkeit, die Selbstbeherrschung höher; die Sophrosyne galt den Weisen immer als eine Kardinaltugend. Praktisch sehr nützlich ist es, zeitweilig Reizmittel ganz auszusetzen, um sich nicht zu ihren Sklaven zu machen, und nichts ist so geeignet dazu wie der rege Betrieb von Körperübungen und ein richtiges vier- bis sechswöchiges Training im Sport. Zur rechten Zeit und am rechten Orte schadet aber auch dem eifrigen Sportmann ein Glas Bier oder Wein nicht.

Der Alkohol wird als Mittel der Entartung stark überschätzt, denn alle die Verbrechen und Geisteskrankheiten, die man bei Alkoholikern findet, kommen in kaum geringerem Maße auch ohne Alkoholismus vor. Infolge besonderer Keimmmischungen und deren Vererbung sind in der Kultur viele minderwertige Anlagen vorhanden. Diese werden vererbt, und auf solche Minderwertige wirkt Alkohol auslösend. Vater und Sohn leiden an derselben minderwertigen Anlage und werden deshalb Verbrecher, Alkoholiker, Geisteskranke. Gerade in

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Oskar Kilian: Sport und Abstinenz. Deutscher Radfahrer-Bund Gau 20 Berlin, Berlin 1907, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Sport_und_Abstinenz_(Oskar_Kilian,_1907).pdf/3&oldid=- (Version vom 7.1.2019)