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Betonung der Mimik und in der Kühnheit der Umrisse ziemlich vereinzelt zwischen den gelassenen und gesättigten Nuditäten ihrer antikisch gepflegten Zeitgenossen steht. In die Wiener Sammlung kam 1879 aus Luxemburg ein großes Elfenbeinrelief, das die Marter des Hl. Sebastian in einer vielfigurigen, ungemein bewegten Szene zeigt (Schlosser, Werke der Kleinplastik in der Skulpturensammlung des A. H. Kaiserhauses, II. T. 39). In einer durchaus malerisch und friesartig gesehenen Komposition sind eine Anzahl von Kriegsleuten beschäftigt, den an einen Baumstamm gebundenen Heiligen mit ihren Pfeilen zu durchbohren; während zwei an den Flanken gerade zum Schuß ansetzen, ist ein dritter, halbnackt, mit skytischem Typus, kniend dabei, den Pfeil aus dem am Boden liegenden Köcher zu ziehen. Zwei Märtyrer liegen tot zu Füßen des Heiligen, ein gewappneter Bannerträger – die Fahne schmückt der kaiserliche Doppeladler – sprengt rechts herbei. Die krampfige Erregung in den Gesichtern der Henker wie ihrer Opfer, die Betonung der Sehnen und Adern an Armen und Beinen, kostümliche Einzelheiten, die parallelen Falten, die herunterhängenden Stiefelschäfte – alles dies kehrt bei dem Relief wieder. Es trägt die Zahl 1655. Eine Elfenbeingruppe im Museum zu Albi, die Schindung des Hl. Bartholomaeus, die dem Stil der Wiener Reliefs außerordentlich nahesteht, fügt der Jahreszahl, 1638, den Namen des Künstlers zu: Jacobus Agnesius Calviensis. Wenn es sich dabei wirklich um einen Sohn der schwäbischen Stadt Calw handelt, wäre die Annahme berechtigt, daß auch diese Gruppe von Darstellungen, die in der leidenschaftlichen Erregtheit der Gestikulation, der asymmetrisch-krausen Überladenheit mit Einzelmotiven dem Pathos des Barock noch ganz fernstehen, in Süddeutschland, dem Hauptgebiet der Elfenbeinkunst des 17. Jahrhunderts, beheimatet ist. Dorther stammt auch der berühmteste Elfenbeinkünstler der Renaissance, Christoph Angermair von Weilheim, der Hofbildhauer Kurfürst Maximilians. Sein Hauptwerk, der Münzschrank der Kurfürstin Elisabeth, im Münchner Nationalmuseum, gibt in dem wohlbemessenen Reichtum seiner architektonischen Durchbildung wie in der abgerundeten Harmonie seiner szenischen Plastik das vollkommenste Bild von der Begabung seines Schöpfers. Ein Vergleich mit den mythologischen Reliefs der Innentüren verweist das Relief mit der Aktaeonszene (Tafel 9 b) in die erste Zeit der Beschäftigung Angermairs mit der umfangreichen Aufgabe. In den Jahren 1618 bis 1624 war er an dem Münzschrein beschäftigt. 1619 verehrte der ernestinische Herzog Johann Philipp seinem kurfürstlichen Vetter die kleine,