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Meine Herren und Damen,

So ungern als möglich trete ich aus meiner Einsamkeit in die Öffentlichkeit, um vor Ihnen über ein Thema zu sprechen, das mich scheinbar nichts angeht. Es würde mich auch in der Tat nichts angehen, wenn alles so wäre, wie es sein sollte. Da das aber nicht der Fall ist, erfülle ich meine Bürgerpflicht, indem ich versuche, ob vielleicht das Wort eines bescheidenen Privatmannes dazu beitragen kann, einem unerquicklichen und nicht unbedenklichen Zustand entgegenzuwirken. Wir haben es dazu kommen lassen, dass anlässlich des Krieges zwischen dem Deutsch sprechenden und dem Französisch sprechenden Landesteil ein Stimmungsgegensatz entstanden ist. Diesen Gegensatz leicht zu nehmen, gelingt mir nicht. Es tröstet mich nicht, dass man mir sagt: „Im Kriegsfall würden wir trotzdem wie ein Mann zusammenstehen.“ Das Wörtchen „trotzdem“ ist ein schlechtes Bindewort. Sollen wir vielleicht einen Krieg herbeiwünschen, um uns unserer Zusammengehörigkeit deutlicher bewusst zu werden? Das wäre ein etwas teures Lehrgeld. Wir können es billiger haben. Und schöner und schmerzloser. Ich kann jedenfalls in einer Entfremdung nichts Erspriessliches erblicken, vielmehr das Gegenteil. Oder wollen wir, wie das etwa Ausländer tun, die Stimmungsäusserungen unserer anderssprachigen Eidgenossen einfach ausser acht lassen, weil sie in der Minorität sind? „Abgesehen von dem Bruchteil

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Carl Spitteler: Unser Schweizer Standpunkt. Rascher & Cie., Zürich 1915, Seite 5. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:SpittelerUnserSchweizerStandpunkt.pdf/7&oldid=- (Version vom 1.8.2018)