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Disziplin haben heutzutage die Regierungen, zumal die mit den Scheinparlamenten, ihre Untertanen fest in der Hand, samt deren Köpfen und Herzen, und mit den eigenmächtigen Völkerverbrüderungen ist es aus. Oder können Sie sich ein Armeekorps vorstellen, das uns zuliebe den Gehorsam verweigerte: „Gegen die Schweizer marschieren wir nicht. Denn das sind Freunde.“ Vor dem militärischen Kommandoruf und dem patriotischen Klang der Kriegstrompete verstummen alle andern Töne, auch die Stimme der Freundschaft.

Darum sage jetzt ich: „Nun also“! Damit meine ich:

Bei aller herzlichen Freundschaft, die uns im Privatleben mit Tausenden von deutschen Untertanen verbindet, bei aller Solidarität, die wir mit dem deutschen Geistesleben pietätvoll verspüren, bei aller Traulichkeit, die uns aus der gemeinsamen Sprache heimatlich anmutet, dürfen wir dem politischen Deutschland, dem deutschen Kaiserreich gegenüber keine andere Stellung einnehmen als gegenüber jedem andern Staate: die Stellung der neutralen Zurückhaltung in freundnachbarlicher Distanz diesseits der Grenze.

Die nötige Zurückhaltung gegenüber dem deutschen Nachbar, die uns ohnehin schwer fällt, wird uns überdies noch durch mehr oder minder wohlmeinenden Zuspruch erschwert. Zunächst der bekannte Appell im Namen der Rassen-, Kultur- und Sprachverwandtschaft. Diese müsste ja, so wird uns bedeutet, von selber zur freudigen Parteinahme mit der deutschen Sache in diesem Kriege führen. Als ob es sich da um Philologie handelte! Als ob nicht sämtliche Kanonen aller Völker das nämliche greuliche Volapük

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Carl Spitteler: Unser Schweizer Standpunkt. Rascher & Cie., Zürich 1915, Seite 12. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:SpittelerUnserSchweizerStandpunkt.pdf/14&oldid=- (Version vom 1.8.2018)