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Gewaltmächte. Nicht umsonst führen die Staaten mit Vorliebe ein Raubtier im Wappen. In der Tat lässt sich die ganze Weisheit der Weltgeschichte in einen einzigen Satz zusammenfassen: Jeder Staat raubt, soviel er kann. Punktum. Mit Verdauungspausen und Ohnmachtanfällen, welche man „Frieden“ nennt. Die Lenker der Staaten aber handeln so, wie ein Vormund handeln würde, der vor lauter Gewissenhaftigkeit alles und jedes für erlaubt hielte, was seinem Mündel Vorteil bringt, keine Freveltat ausgeschlossen. Und zwar je genialer ein Staatsmann, desto ruchloser. (Bitte, diesen Satz nicht umkehren.) Unter solchen Gewissensverhältnissen wäre Empfindlichkeit gegen Misstrauen allerdings übel angebracht.

Während nun andere Staaten sich durch Diplomatie, Übereinkommen und Bündnisse einigermassen vorsehen, geht uns der Schutz der Rückversicherung ab. Wir treiben ja keine hohe auswärtige Politik. Hoffentlich! Denn der Tag, an dem wir ein Bündnis abschlössen oder sonstwie mit dem Auslande Heimlichkeiten mächelten, wäre der Anfang vom Ende der Schweiz. Wir leben mithin politisch im Dunkeln, bestenfalls im Halbdunkel. In Kriegszeiten, wo wir Gefahr wittern, befinden wir uns in der Lage des Bauern, der im Walde ein Wildschwein grunzen hört, ohne zu wissen, kommt es, wann kommt es, und woher kommt es. Aus diesem Grunde stellen wir unsere Truppen rings um den ganzen Waldsaum. Und dass nur ja niemand sich auf die Freundschaft verlasse, die zwischen uns und einem Nachbarvolke in Friedenszeiten waltet. Dergleichen kommt an den leitenden Stellen gar nicht in Betracht. Das sind Harmlosigkeiten des Zivil. Durch die militärische

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Carl Spitteler: Unser Schweizer Standpunkt. Rascher & Cie., Zürich 1915, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:SpittelerUnserSchweizerStandpunkt.pdf/13&oldid=- (Version vom 1.8.2018)