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praktisch kennen zu lernen. Die Ehre, den höchsten Gerichtshof Deutschlands in ihren Mauern zu beherbergen, würde der kleinen Reichsstadt wohl nicht zu Theil geworden sein, wenn nicht grössere Städte, wie Frankfurt, aus Furcht, in Abhängigkeit zu gerathen, gegen die Aufnahme desselben protestirt hätten. Diese günstigen Verhältnisse benutzte der Magistrat von Wetzlar, und bewarb sich um die Verlegung des Gerichts in die Stadt, mit dem Versprechen, Alles aufzubieten, um demselben eine ihm angemessene, wohnliche Stätte zu bereiten. Aber erst im Jahre 1693 wurde das Reichskammergericht in Wetzlar feierlich eröffnet. Wenn man übrigens den Berichten der übergesiedelten Assessoren trauen darf, so ist das Zögern und Sträuben dieser Herren, sich hier niederzulassen, wohl zu erklären; denn die ungepflasterten Gassen mit Düngerhaufen und die zum Theil mit Stroh bedeckten Häuser, von welchen sie erzählen, mussten einen grellen Gegensatz zu den Strassen und Gebäuden der blühenden Reichsstadt Speier bilden. Auch waren die Räume des Gerichtslocals, zu welchem der Magistrat bereitwillig das Rathhaus einräumte, das Haus auf dem Fischmarkte, an welchem noch heutigen Tags der Reichsadler in renovirter Gestalt zu sehen ist, für die mannichfachen Bedürfnisse der Behörde zu beschränkt, so dass auch benachbarte Gebäude angekauft und gemiethet werden mussten. Im Jahre 1782 wurde das Gericht in das geräumige Virmond’sche Haus an der Lahn, die jetzige Kaserne, verlegt, und daneben der Bau des Reichsarchivs begonnen, welcher indessen erst unter preussischer Hoheit seine jetzige Ausdehnung erhalten hat. Uebrigens verdankt die Stadt dem Reichskammergerichte eine ganze Anzahl grosser, zum Theil in engen Winkeln stehender Häuser, deren Bau den Assessoren und den Procuratoren, Dank dem schleppenden Gerichtsgang und der wohlbekannten Bestechlichkeit, welche hier eingerissen war

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August Spieß: Das Lahntal von seinem Ursprung bis zur Ausmündung nebst seiner nächsten Umgebung. Verlag von L. J. Kirchberger, Dillenburg 1866, Seite 60. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Spiess_Das_Lahnthal.pdf/93&oldid=- (Version vom 1.8.2018)