Seite:Spiess Das Lahnthal.pdf/41

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

in das Lahnthal einmündet. Ein stattliches Hofhaus, schön aufgeführte Oeconomiegebäude, davor ein ausgedehnter, reinlicher Hofraum künden uns eine im Grossen betriebene Ackerwirthschaft an. Das beträchtliche Hofgut gehört dem Fürsten von Wittgenstein-Wittgenstein, welcher auch die ansehnlichen Neubauten hat aufführen lassen. Mit ihnen und selbst mit den wenigen andern Bauernhäusern stehen in bedeutendem Contraste etwa zehn rauchgeschwärzte, strohbedeckte Hütten, welche zwischen Obstbäumen etwas abseits im Wiesengrunde liegen. Diese Häuschen beherbergen eine Zigeunerkolonie, welcher zu einer Zeit, als diese herumziehenden Banden in den benachbarten Ländern verfolgt wurden, ein Vorfahr des jetzt regierenden Fürsten von Wittgenstein, Graf Friedrich Karl, hier dauernde Wohnsitze und Schutz verliehen hat. Die dunkelgefärbten Kinder mit ihren pechschwarzen Haaren und Augen, welche uns auf der Chaussee begegnen, die jungen, schlank und schön gewachsenen Männer, welche auf dem Hofgute oder in den Bauernhöfen mit Holzsägen beschäftigt sind, gehören ihnen an. Das wandernde Völkchen hat sich zur Verrichtung von Haus- und Feldarbeiten bequemen gelernt. Indessen ist der Trieb des Umherschweifens noch sehr lebendig in ihnen, und macht sich bei den Kindern, in weitausgedehnten Bettelfahrten geltend, während die Zigeunermütter zu Hause und draussen noch das Geschäft des Wahrsagens betreiben. Auch manches Andere ist ihnen von ihrer früheren Lebensweise geblieben; so gilt ihnen ein Fuchs als ein leckeres Gericht. Uebrigens ist die ganze Kolonie im evangelischen Glauben erzogen und nach Feudingen eingepfarrt. Dass sich dieselbe nicht bedeutender vermehrt hat – sie besteht heutigen Tages aus etwa 60 Köpfen – schreibt man dem Umstand zu, dass schon seit mehreren Menschenaltern die wenigen Familien immer von Neuem ineinander geheirathet haben. Wenn übrigens die veränderte Lebensweise dieser Söhne

Empfohlene Zitierweise:
August Spieß: Das Lahntal von seinem Ursprung bis zur Ausmündung nebst seiner nächsten Umgebung. Verlag von L. J. Kirchberger, Dillenburg 1866, Seite 8. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Spiess_Das_Lahnthal.pdf/41&oldid=- (Version vom 1.8.2018)