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„Wildniss“ an, so ist in der That das Thal, wenn nicht gerade ein sehr niedriger Wasserstand den Touristen begünstigt, für Jeden, welcher davor zurückschreckt den Bach etwa zwölfmal zu durchwaten, da ein Sprung auf die glatten oder spitzigen Steine in seinem Bette bedenklich ist, oder da, wo derselbe die ganze Thalsohle ausfüllt, an jungen Bäumen sich haltend, und an den Felsen hinankletternd, die Sperre zu umgehen, geradezu unzugänglich. Aber welche Pracht einer wild romantischen, ursprünglichen Natur nimmt uns in diesem einsamen, vom Verkehr noch wenig oder nicht berührten Thale auf! Jede Mühle in dieser engen Schlucht, deren Sohle meist nur wenige hundert Fuss, und oft noch viel schmäler ist, unter jähen Felsen gelegen, oder dicht an den überhängenden Wald geschmiegt, würde dem Maler den lohnendsten Stoff zu einem Landschaftsbilde abgeben. Und wer kann die Herrlichkeiten im Einzelnen schildern, welche sich weiter abwärts dem vor- und rückwärtsschauenden Auge eröffnen, und von denen jede Windung neue, überraschende aufzeigt: die mächtigen, wohl 600 Fuss hohen, steilen Berge, und die Felspartien, die aus denselben hervorstarren, das schluchtartige Thal, in welchem man stundenlang keinen Laut vernimmt, als das Murmeln und Rauschen des zwischen Erlen hinfliessenden Bachs und den Gesang der Vögel im Buschwerk der Bergwände. Ja, einzelne Punkte, wo man sich, in einer Windung von hohen Bergen rings umschlossen, wie in einem ungeheuren Brunnen wähnt, können bei dem leicht sich aufdrängenden Gedanken an die vollständige Verlassenheit und Hülflosigkeit bei irgend einem Fehltritt oder Fehlsprung in dieser tiefen Abgeschiedenheit ein förmliches Grauen erwecken. Etwa drei Stunden nach dem Eintritt in das Thal gelangt man, die letzte Viertelstunde wieder auf gangbarem Wege, nach dem Kloster Arnstein, wo uns nach dem

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August Spieß: Das Lahntal von seinem Ursprung bis zur Ausmündung nebst seiner nächsten Umgebung. Verlag von L. J. Kirchberger, Dillenburg 1866, Seite 168. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Spiess_Das_Lahnthal.pdf/201&oldid=- (Version vom 1.8.2018)