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Das Ganze dieser trefflichen Probe Griechischer Sculptur vereinigt in so hohem Grade die verschiedenen Eigenschaften würdevoller Stellung, anatomischer Treue, Schönheit und Harmonie der Gestalt, dass, wäre sie das einzige Ueberbleibsel jener unsterblichen Schule, sie hinreichend den so gepriesenen Kunstsinn Griechischer Künstler darthun würde. Und vergleicht man sie mit den Werken einer spätern Zeit, als dem Apollo, Antinous, Meleager und dem berühmten Torso, den Michael Angelo so emsig studirte: so liegen ihre Vorzüge klar am Tage.


No. 68.
Der Pferdekopf

gehörte zum Wagen der Nacht, welcher sich an der östlichen Vorderseite des Tempels, auf dem Gesimse über dem Eingange, neben den Parzen, der Iris, Proserpina, dem Theseus und Hyperion befand.

Dieses Kunstwerk stellt eine so treue Nachahmung der Natur dar, dass man glauben möchte, es sey nach einem lebendigen Kopfe geformt. Das volle, hervorstehende Auge, die dünnen, weiten Nasenlöcher, das tiefe Maul, der flache Backen, sind Gegenstände von besonderer Schönheit.

Bei Untersuchung dieses Meisterwerkes wäre Künstlern zu rathen, wohl zu bemerken, dass nirgends jene unregelmässigen Linien an den Augenliedern, Nasen und Lippen zu bemerken sind, welche die meisten Darstellungen alter und neuer Maler bezeichnen. Es ist eine irrige Meinung, dass unregelmässige Linien den Werken ein freies Ansehen gäben; sie bringen vielmehr die entgegengesetzte Wirkung hervor; denn sind die Augenlieder völlig geöffnet, so findet eine Spannung der Haut Statt, die natürlich einen regelmässigen und ununterbrochenen Umriss hervorbringen muss.

Dieser Kopf, behaupten irrigerweise einige Kenner, drücke das Wiehern des Rosses aus. Ob nun gleich das Maul offen steht, so ist dieser Schluss doch nicht hieraus zu folgern.

Die Aeusserungen der Leidenschaften des Pferdes können unter dreien begriffen werden, und sind: Furcht, Zorn und Verlangen. Der Unterschied ist sehr bemerkbar, und diejenigen, welche Gestalt und Eigenschaften dieses Thieres studirt haben, können nicht irre gehen.

Die Aeusserung der Leidenschaften des Pferdes zeigt sich gewöhnlich an der Lage der Ohren und an der Grösse der Nasenlöcher. Der schönste und lebhafteste Ausdruck bei diesem Thiere ist das Verlangen. Es wird stets vom Wiehern begleitet, die Ohren sind vorwärts gespitzt, die Augenlieder über den durchsichtigen Kreis des Auges erhöht, das Weisse des Auges zeigt sich, die Nasenlöcher sind nach dem Maule zu ausgedehnt, und zittern, wie die Stimme, während jenes etwa einen Zoll breit offen steht.

Bei diesem Kopfe sind die Ohren rückwärts gespitzt, die Augenlieder haben die gewöhnliche Ausdehnung, die Nasenlöcher sind aufwärts gedehnt, und die Unterlippe steht zurück, während die Mundwinkel in ihrer grössten Ausdehnung nach oben gezogen sind, eine natürliche Folge des Gebisses, wenn das Thier mit Gewalt zurückgehalten wird. Daher drückt dieser Kopf ein feuriges, von der Hand des Lenkers gezügeltes Thier aus.

Der Ausdruck der Furcht gleicht ziemlich dem des Verlangens, nur mit dem Unterschiede, dass das Maul nicht geöffnet ist.

Beim Ausdrucke des Zornes findet in jeder Hinsicht das Gegentheil statt. Die Ohren sind heftig zusammengezogen und rückwärts gelegt, das Maul ist geöffnet, die Lippen machen die Zähne sichtbar, die Nasenlöcher sind fast zugedrückt, und die Haut der Nase faltet sich.

Die gewöhnliche Meinung, als sey bei diesem Kopfe eine besondere Wirkung beabsichtigt worden, hat ihren Grund in der kleinen Eigenthümlichkeit desselben, dass das linke Auge etwas niedriger, als das rechte steht. Diese kleine Abweichung wird noch dadurch vermehrt, dass das linke Augenlied durch die Länge der Zeit sehr zerstört, und beinahe ein halber Zoll der Oberfläche verloren gegangen ist, während das rechte sich im vollkommen erhaltenen Zustande befindet. Auch neigt sich der Kopf nach der linken Seite, so dass das rechte Auge etwas über das linke erhöht ist.