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Franz Wilhelm Seiwert: Aufbau der Proletarischen Kultur. In: Die Aktion. Jg. 1920, Sp. 719–724

Presse

Ein Zeichen, daß die Revolution Wirklichkeit wurde, ist, daß die Presse vernichtet ist. In der revolutionären Kampfperiode (ich verstehe unter Kampf ebenso die bewaffnete Auseinandersetzung mit der kapitalistischen Klasse, als die wirtschaftliche) tritt an die Stelle der Zeitung das Flugblatt, das über die Entwicklung, den Stand des Kampfes berichtet, die Erfahrung, die im Kampf erworben wird, weitergibt, und welches die kommunistische Idee durch das gedruckte Wort und das Bild zu klären sucht und für sie wirbt, für ihre Verbreitung sorgt. Diese Flugblätter sind mit allen Mitteln (Flugzeuge!) in die vom Kapitalismus noch beherrschten Gebiete zu bringen, um seine Macht zu untergraben, durch Aufklärung der ihn noch stützenden Massen.

Mit der Festigung der kommunistischen Gesellschaft und der Bildung der kommunistischen Gemeinde wird dieses Flugblatt zu einem Gedankenaustauschmittel innerhalb der kommunistischen Gesellschaft von Gemeinde zu Gemeinde, von Betrieb zu Betrieb. Hier werden die Erfahrungen, die fortschreitende Vervollkommnung des Produktionsprozesses mitgeteilt, ausgetauscht, die Beschlüsse der Räte bekanntgegeben und die Gestaltwerdung der kommunistischen Idee in der Gesellschaft, in der Gemeinde, den Menschen aufgezeigt. So werden die Flugblätter zum Werk, zum Buch.

Jede Gemeinde, jeder Betrieb geben, wenn sie eine Notwendigkeit dazu drängt, solche Mitteilungen heraus, die durch die Räteorganisation an alle gehen, für die diese Mitteilungen wichtig und bestimmt sind.


Kunst

Das Proletariat benutzt zunächst den heutigen Kunstbetrieb zur Verkündigung, Klärung und Erklärung des Wesens des Kommunismus und bildet die bestehenden Betriebe in diesem Sinne um. Der heutige Kunstbetrieb ist zu vernichten, denn er ist ein Produkt des Kapitalismus, eine Stütze des Bürgertums. Die fortschreitende Verwirklichung der kommunistischen Idee ist der Zerstörung des heutigen Kunstbegriffes gleichbedeutend. Das wahrhafte Kunstschaffen und die Verwirklichung des Kommunismus kommen aus dem gleichen.

Die Theater und Konzert-Betriebe werden geschlossen. Die Räume zu Versammlungsräumen des Volkes gemacht. Besser wäre es, sie niederzureißen. Da jedoch vorläufig Zeit fehlen wird, um die der proletarischen Kultur gemäßen, Räume zu schaffen und da wahrscheinlich erst aus dem Proletariat die Kräfte kommen müssen, die ihm seine Räume schaffen können, wird man die vorhandenen benutzen müssen, bis die innere Revolution so weit vorgeschritten ist, daß niemand sie mehr erträgt und die von allen gespürte Notwendigkeit ihres Abbruchs eintritt.

In der kommunistischen Gesellschaft gibt es keine Berufskünstler. Das Wort Künstler ist ein Schimpf und eine menschliche Minderung. Wen der Geist dazu zwingt, der wird Kunstwerke schaffen. Er wird auf die Bühne springen, die innerhalb der Volksfesthäuser und Festplätze aufgerichtet ist und spielen. Es gibt keine geschriebenen Dramen, denn damit, daß sie aufgeschrieben wurden, sind sie beendet. Spontan aus dem Urgrund des Schaffenden wird das Werk entstehen, einmalig. Das Schauspiel wird zum Tanz. Das Wort, der Laut zur Musik. Alles geschieht aus der Erfülltheit des Augenblicks, ist ein Sichtbarwerden der im Augenblick gespürten Verknüpfung und Verbundenheit. Der ausführende und der schaffende Musiker ist der gleiche. Es gibt, alles das ergibt sich aus dem vorstehenden, keine aufgeschriebenen Noten mehr. Es ist nicht notwendig, dieses alles des langen und breiten zu begründen, denn dem, der das Wesen des Kommunismus erkannte, wird dieses so klar sein, und den andern, die sich bewahren wollen, wird es nie klar werden.

[724] Alle die Worte: Theater, Bühne, Musik werden einen ganz anderen Sinn haben und etwas ganz anderes bezeichnen, wie sie auch einstens etwas anderes bezeichneten als heute.

Die Museen werden ausgeräumt und besseren Zwecken zugeführt. Die Werke kommen an die Stelle zurück, für die sie geschaffen waren. Besser, daß sie dort langsam zerstört werden, als daß sie in Museen tot sind. Die Kunstwerke auf die Straße. Die Straßen sind so öde. Hier ergeben sich ganz neue Möglichkeiten. Die Häuser können bemalt werden, ganze Straßen können bemalt werden. Die Reklamesäulen, die zwecklos geworden sind, können zu Bildwerken, zu Plastiken werden.

Das Kunstwerk, das Kunstschaffen ist öffentlich. Jeder hat das Recht auf jedes Werk. Es gibt kein Eigentum an Kunstwerken. Auch nicht das des Schaffenden, da er nicht als Einzelwesen das Werk schafft, sondern die Gesamtheit alles Lebenden durch ihn schafft. Werke, die nicht aus dieser Gesamtheit geschaffen wurden, die der Verfertiger der Gemeinschaft verweigert, sind keine Kunstwerke und mag er sie behalten, um die Leere seines „Einzigseins“ mit ihnen zuzudecken.

Die Künstler sind in der Produktion tätig, helfen Dinge des Gebrauchs herstellen. Ingenieure sind Künstler, Künstler werden Ingenieure. Alle Arbeitenden werden Künstler sein, denn Kunst ist nicht mehr, was schön gemacht, sondern alles, was wahrhaft ist.

Die kommunistische Gesellschaft und die fortschreitende kommunistische Kultur wird den heutigen Stadtbegriff zerstören und neuformen. Die innere Unwahrhaftigkeit, der Schmutz und die Unklarheit, die das Bürgertum mit „Kultur“ zu überkleistern suchte, wird sich enthüllen (es beginnt jetzt schon, sich zu enthüllen) und dann wird die Menschen die Wut überkommen, daß sie den schönen Plunder zuerst herabreißen, dann werden alle die Stadt zum erstenmal nackt sehen. Sie werden sie sich gegenüberstellen, um sie zu zerschlagen, und dann ihre Stadt zu erbauen beginnen, die mit heutiger Stadt nicht den Namen mehr wird gemeinsam haben können.


Organisatorischer Aufbau

Der organische Aufbau der Gefäße der proletarischen Kultur: Schule, Presse, Kunst, Theater (Schule, Kunst, Presse, Theater ist nicht das, was heute durch die Worte bezeichnet wird) geschieht in engster Verbindung mit der kommunistischen Gemeinde und den Betrieben und in engster Bindung untereinander durch eine Rätesystem, das sich auf Betrieb und kommunistischer Gemeinde gründet.

Die Einzelgebilde werden in Kultur und Wirtschaftsgebieten zusammengefaßt, wo zunächst ein Austausch der Einzelgebilde unter sich stattfindet. Die Gebilde der Kultur und Wirtschaftsgebiete schließen sich zusammen zu einer Erdumspannung, zu gegenseitigem Austausch und Selbstverschenken.

Empfohlene Zitierweise:
Franz Wilhelm Seiwert: Aufbau der Proletarischen Kultur. In: Die Aktion. Jg. 1920, Sp. 719–724. Die Aktion, Berlin-Wilmersdorf 1920, Spalte 723–724. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Seiwert_(1920)_Aufbau_der_Proletarischen_Kultur.pdf/3&oldid=- (Version vom 24.7.2016)