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Paul Seeberg: Aus alten Zeiten : Lebensbilder aus Kurland

Die Taufe ging in gewohnter Würde, ganz im Ton des Herrn Präpositus vor sich. Binchen küßte ihre Kinder zärt­lich, freute sich, daß sie neue Namen hatten, und legte sie, wohl eingehüllt, sacht und mütterlich schlafen. Darauf ging es an den Taufschmaus, von dem auch die alte Wärterin und die beiden jüngsten Schwesterlein in dem Kinderzimmer etwas abbekamen, und der gleichfalls zu allgemeiner Zufrieden­heit ausfiel. Der Tag neigte sich zu Ende, und als die Sonne unterging, lagen Johannchen und Binchen nach vollbrachtem Tagewerk so süß und lieblich in ihren Bettchen, wie je zwei Kinder nach einem schönen Sonntag schlafen können.

Gegen Morgen war Binchen im süßesten Träumen; alle ihre Puppen waren Feenköniginnen oder Prinzessinnen und stolzierten mit den prächtigsten Kleidern und strahlenden Kronen umher; es war eine Wonne sie anzusehen, – da ruft plötzlich eine tiefe Baßstimme dazwischen: „Binchen!“ – War das Traum oder Wirklichkeit? – Noch einmal klingt’s im Traum: „Binchen! Binchen! wo hast du meine Seife gelassen?“ Die Kleine erwacht und sieht mit den noch halb schlaftrunkenen Augen des Vaters sonst so mildes, jetzt aber doch merklich ernsteres Gesicht über sich. Er hat seine Seife vermißt und von dem Kindermädchen die Aus­kunft erhalten, Binchen habe sie wohl gestern gehabt. Zuerst wußte natürlich die kleine Missethäterin nichts von Himmel und Erde und darum auch nichts von des Vaters Seife; aber endlich fing es in ihr an zu dämmern: „Ach ja, lieber Vater, wir haben gestern die Engel gewaschen; sie muß wohl im Eßzimmer sein.“ Ein paar freundschaft­liche, übrigens wohlverdiente Klapse wurden Binchen, als heilsame Warnung für die Zukunft, zu teil; dann ward die Seife glücklich gefunden. Die Mutter fügte noch von sich aus ein kleines Strafsitzen hinzu, mit „dreimal rund stricken, ohne Maschen fallen zu lassen,“ Johannchen aber

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Paul Seeberg: Aus alten Zeiten : Lebensbilder aus Kurland. J. F. Steinkopf, Stuttgart 1885, Seite 65. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:SeebergAusAltenZeiten.pdf/63&oldid=- (Version vom 12.9.2022)