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Paul Seeberg: Aus alten Zeiten : Lebensbilder aus Kurland

Baron von Hahn (Asuppen) ließ es sich nicht nehmen, ihm selbst den Leichenstein zu setzen, auf welchen er die Inschrift eingraben ließ:

1 Kor. 3, 11.
„Einen andern Grund kann niemand legen, außer dem,
der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus.“

Auch darin ehrten die Patrone das Andenken unseres Vaters, daß sie einstimmig meinen Bruder Wilhelm zu seinem Nachfolger ernannten.

Und wieder ward ein neuer Herd gegründet, wieder erklangen Kinderstimmen in dem alten Pastorat, — aber nicht auf lange. War es vielleicht eine Ahnung, daß mein Bruder, noch so jung, mitten in seiner treuen Arbeit an der Gemeinde mit besonderm Eifer sich der Anlage eines neuen Gottesackers widmete und demselben soviel Liebe und Pflege zuwendete? Ach, nur zu bald trug er liebe Kind­lein dort hinaus; nur zu bald ruhte auch er selbst auf dem schönen stillen, weit hinausschauenden Hügel. Ein Blutsturz hatte seinem Leben und Wirken ein jähes Ende bereitet. Auch seine Witwe, die mit ihren Töchtern ins Mecklenburgische zog, wo sie eine verheiratete Schwester hatte, ist eingegangen zu der seligen Ruhe, die Gott seinem Volke bereitet hat. Sie ruht in fremder Erde.

So sind die lieben trauten Stimmen eine nach der andern verstummt; nur noch die Steine reden zu uns auf den Gräbern und die Kreuze. Die alten Zeiten sind ver­gangen, eine neue Welt aufgekommen. War es da ein Wunder, daß unser liebes Mütterlein, das mit dem 4. No­vember dieses Jahres (1883) sein 92. Lebensjahr erreicht, sich sehnte, auch ihrerseits den Wanderstab aus der Hand zu legen, auszuruhen und daheim zu sein bei dem Herrn! Ihr letzter Erdenwunsch, auch den jüngsten Sohn (Georg) noch in dem geliebten Kurland angestellt zu sehen, war

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Paul Seeberg: Aus alten Zeiten : Lebensbilder aus Kurland. J. F. Steinkopf, Stuttgart 1885, Seite 228. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:SeebergAusAltenZeiten.pdf/226&oldid=- (Version vom 19.9.2022)