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Paul Seeberg: Aus alten Zeiten : Lebensbilder aus Kurland

Haushaltung, an welcher er ohnehin keine sonderliche Freude hatte, abzutreten. Das war nun gewiß nach beider Sinn; kehrte der Vater doch damit in das liebe Haus zurück, wo er seine unvergeßliche Knabenzeit zugebracht, und sein Dorchen an den Herd, an dem sie nach dem Tode der Mutter schon jahrelang so brav und treu gewaltet hatte. Aber so willkommen der Gedanke allen Beteiligten war, — einige Schwierigkeiten gab’s doch zu überwinden. Es mußte erst Raum geschafft werden; denn das alte Pastorat herbergte zwei absonderliche Insassen, die jeder für sich ein Zimmer in Anspruch nahmen und auf des alten Großvaters Beutel zum großen Schaden desselben lebten. Für beide war es, vom moralischen Standpunkt aus, eine Wohlthat, wenn man ihrer mangelnden Energie durch eine gelinde Nötigung zu Hilfe kam und sie dazu brachte, wenigstens etwas zu thun, um ihr eigen Brot zu essen. Der eine von diesen edeln Herren war Bertram Reck, Binchens mißratener Sohn, der sogenannte Notarius publicus, der aber nie in seinem Leben etwas publice notiert hatte, auch seine angeerbte juristische Bibliothek mehr ansah als studierte. Wohl ver­sorgt und verwöhnt von der schwachen Mutter und dem allzu gütigen Onkel, hatte er sich in der edeln Kunst, sein Leben mit Rauchen, Spazierengehen, Romanlesen u. s. w. zuzubringen, bis zur Virtuosität ausgebildet. Der zweite der genannten Herren war unser Onkel Karl, Großväter­chens lieber aber verunglückter Sohn. Erst war derselbe als hoffnungsvoller Jüngling in das Comptoir seines Verwandten, des Generalkonsuls Sorgenfrei in Libau eingetreten, wo er sich aber bald als wenig geeignet für die Prosa des kaufmännischen Lebens erwiesen hatte. Sein mütterliches Erbteil hatte ihm schon damals mehr Freiheit gewährt, das Leben mühelos zu genießen, als für ihn gut war. Er fühlte sich zum Dichter berufen. Darum verließ er

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Paul Seeberg: Aus alten Zeiten : Lebensbilder aus Kurland. J. F. Steinkopf, Stuttgart 1885, Seite 200. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:SeebergAusAltenZeiten.pdf/198&oldid=- (Version vom 22.9.2022)