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Paul Seeberg: Aus alten Zeiten : Lebensbilder aus Kurland

zu Hilfe gekommen, — sie hätten vor Langeweile sterben können. Unter solchen Umständen war es ein Glück, daß die Herren Kandidaten nicht sofort von der Universität ins Amt kamen. Sie hätten wenig Gescheites zu predigen gehabt. Da es ihrer die Hülle und Fülle gab, ausländische wie inländische, so war Hauslehrerei und Schulmeisterei der natürliche, aber freilich oft recht langsame Weg, der die jungen Männer für den Dienst des Reiches Gottes vorbereitete. Sie hatten wenigstens den Gewinn, mancherlei Erfahrungen, trübe wie erfreuliche, zu sammeln, ehe sie zum geistlichen Hirtenamt berufen wurden. So wurde denn auch unser lieber Vater erst Lehrer am Witte- und Hueckschen Waisenhause in Libau und darauf Hauslehrer in der in Wahnen eingepfarrten, aber damals auf einem andern Gute lebenden Familie des Barons von Hahn. Es waren glückliche Zeiten, wo einem Hauslehrer, — wenn auch freilich nur ausnahmsweise, wie hier, die Möglichkeit geboten werden konnte, zugleich seine Herzensflamme heimzuführen. Aber so geschah es. Während er die jüngern Söhne des Hauses unterrichtete, füllte sein liebes Dorchen die Stelle einer Gesellschafterin und Vorleserin bei der Baronin aus, die als Taufmutter der jungen Frau ihr ein besonderes Interesse entgegentrug und ihr viel Freundlichkeit erwies. Das ging nun so eine Weile. Als aber in die Wohnung des Herrn Kandidaten eine Wiege ihren Einzug hielt und der junge Erstgeborne, dem hernach noch neun andere Kreatürlein folgen sollten, gleichfalls Ansprüche auf Unterhaltung erhob, schien es dem jungen Ehepaar wünschenswert, unter eignes Dach und Fach zu kommen. Das machte sich denn auch. Unser lieber Großvater war nämlich, da er bereits in vorgerückteren Jahren stand, auf den Gedanken gekommen, seinen Schwiegersohn als Adjunkten ins Haus zu nehmen und ihm nicht nur das ganze Amt, sondern auch die ganze

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Paul Seeberg: Aus alten Zeiten : Lebensbilder aus Kurland. J. F. Steinkopf, Stuttgart 1885, Seite 199. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:SeebergAusAltenZeiten.pdf/197&oldid=- (Version vom 19.9.2022)