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Paul Seeberg: Aus alten Zeiten : Lebensbilder aus Kurland

Gott auszusprechen und ferneren Segen auf unser glück­liches Haus herabzuflehen. Noch steht er vor mir, der Transparent, den wir zu solchem Fest anfertigten mit mancherlei Bildern, Sprüchen und Wünschen ausgestattet, darunter das Bild einer aufgeblühten Rose, umgeben von einer Zahl größerer und kleinerer Knospen, der Zahl der Kinder entsprechend, die damals die Mutter umstanden. Wir waren zu der Zeit unser sieben. — Aber nach Gottes Rat sollten jetzt für den alten Mann zu dem schweren Geschick zehnjähriger Blindheit noch neue, schmerzensreiche Prüfungstage kommen. Ein harter Winter brachte die ersten Gichtanfälle über die lieben alten, sonst so fleißigen Hände. Ach, wie war es ihm doch so schwer, jetzt tage- und monatelang gar nichts schaffen zu können und regungs­los, in Watte und Gichttaffet gehüllt, die gefolterten Glie­der vor sich hinzuhalten! Aber auch jetzt verließ ihn seine Geduld, seine Ergebung nicht. Keine Klage, kein Murren kam über seine Lippen, wenn auch die Sehnsucht nach dem Heimgang stärker und stärker war. Höchstens, daß er auf unsre Fragen zur Antwort gab: „Heute ist’s allerdings recht arg.“ Der Sommer brachte einige Erleichterung, aber der nächste Winter verschlimmerte den Zustand um ein Bedeutendes. Ein zweiter Sommer kam heran, ohne daß die mildere Sonne vermocht hätte, die sinkenden Kräfte wiederherzustellen. Aber auch jetzt noch behauptete die Kraft des Geistes und des Glaubens den Sieg über die qualvolle Gebrechlichkeit des Körpers. Nicht der Kranke brauchte getröstet zu werden, nicht er bedurfte der Unter­haltung, er im Gegenteil war es, der die Traurigen und Niedergeschlagenen aufrichtete und das Gespräch leitete, wenn man ihn besuchte. Ans Bett gefesselt, von Schmerzen gefoltert, auch an innerem Siechtum, Folge des allmählichen Absterbens, leidend, sah er seiner Stunde entgegen. Er

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Paul Seeberg: Aus alten Zeiten : Lebensbilder aus Kurland. J. F. Steinkopf, Stuttgart 1885, Seite 191. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:SeebergAusAltenZeiten.pdf/189&oldid=- (Version vom 21.9.2022)