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Paul Seeberg: Aus alten Zeiten : Lebensbilder aus Kurland

Tasche und warf sie dem armen todesbleichen Soldaten auf den Tisch.

„Und damit meinst du es gut gemacht zu haben?“ höhnte ihn der Doktor; „nachdem du ihn zum Krüppel gemacht, vielleicht gar, wie ich fürchte, in jene Welt expediert hast. Ist das kein Menschenfleisch wie deins, Junge?“

„Nicht so bös! Nicht so bös, Doktorchen,“ begütigte Kagel aufs neue und verschwand bald; denn man ging zu Tisch. Dort ging es laut und fröhlich her; die Pfropfen sprangen, die Gläser klirrten und mancher trank sich warm. An Scherz und Witz fehlte es jetzt noch weniger als beim Frühstück. Dabei wurde natürlich auch der „der Residenz­jäger“ nicht vergessen. „Sag, Kagel,“ wendete sich ein Nachbar an den Alten, „ist es wahr, daß dein Sohn sich bei den Franzosen hat anwerben lassen?“ „Fällt ihm nicht ein. Wie kommst du darauf?“ „Ach so, es klang mir nur das alte Lied in den Ohren, das wir 1814 sangen: „Franzosen sind ja toll und blind, sie schießen da, wo Menschen sind.“ Schallendes Gelächter. Dergleichen Stichelreden fielen noch manche. Aufrichtig gesprochen, berührten diese den unglücklichen Schützen viel empfindlicher, als die Schmerzen des zum Tode Verwundeten. Er nahm darum auch die Gelegenheit wahr, sich bald nach dem Essen zu entfernen, um nach Friedrichsfelde, einem kleinen Land­städtchen, zu fahren, wo gerade Ball war.

Nach dem Essen wurden die grünen Tische in die Mitte des Zimmers gerückt. Man sah es Kagel sen. an, daß er in seinem Element war. Bald waren alle Herren richtig untergebracht. Selbst Herr Henry, der anfangs die Miene annahm, sich bei den Damen beliebt machen zu wollen, und dann eine Weile seine goldene Tabatiere hatte spielen lassen, wobei er mit diplomatischer Verbindlichkeit und schlauem Lächeln einige Trivialitäten vom Stapel ließ oder

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Paul Seeberg: Aus alten Zeiten : Lebensbilder aus Kurland. J. F. Steinkopf, Stuttgart 1885, Seite 153. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:SeebergAusAltenZeiten.pdf/151&oldid=- (Version vom 21.9.2022)