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Paul Seeberg: Aus alten Zeiten : Lebensbilder aus Kurland

„Aber das ist ja schrecklich, Müller! Wenn sie nur nicht bei uns einbrechen und Feuer anlegen!“

„Na, bei uns sind viele Hunde auf dem Hof, auch im Stall selbst. Aber ich will doch lieber wachen lassen. Für die lange Liese ist nicht zu stehen. Die hat letzthin ihrem Schwager, der sie eine Diebin genannt hat, den roten Hahn aufs Dach gesetzt. Und nichts zu beweisen! Er möchte sie in Stücke zerreißen; aber nichts herauszu­kriegen. – Gott schütz’ vor Unglück!“

„Aber ist das ein Volk hier, Herr Gott! ein grauen­haftes Volk!“ rief Kagel voll sittlicher Entrüstung.

„Ja, es ist ein böses, dummes, heimtückisches Volk. Was thut der Purring-Wirt? Sein Heu hat er verkauft, so streng es auch verboten ist, — und das Geld versoffen. Das Vieh steht auf Stroh, – schon jetzt, vier Wochen vor Weihnachten! Da wird im Frühjahr wieder was zu heben sein.[1] Von Brot hat er auch nichts mehr und kommt gestern nach dem Hof, um aus dem Magazin Brot zu erbitten. Aber ich hab’s ihm versalzen; ich hab ihm aufdreschen lassen, daß er daran denken wird, – und dar­auf hab ich ihm ein Lof[2] gegeben.“

„A propos, Müller. Wie steht es mit dem Jakob?“

„Er nimmt sie nicht.“

„Warum nicht? Hab ich ihr nicht zwei Kühe gegeben und zehn Lof Roggen? Was will er denn noch?“

„Er spekuliert auf ein Gesinde (Pachthof).“

„Unverschämt!“

  1. Bei der nachlässigen Viehpflege jener Zeit kam es öfter vor, daß das Vieh gegen den Frühling so schwach war, daß es sich aus dem Dünger, auf welchem es stand, nicht erheben konnte, sondern mit Stangen gehoben werden mußte.
  2. 1 1/2 Scheffel.
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Paul Seeberg: Aus alten Zeiten : Lebensbilder aus Kurland. J. F. Steinkopf, Stuttgart 1885, Seite 147. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:SeebergAusAltenZeiten.pdf/145&oldid=- (Version vom 21.9.2022)