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Paul Seeberg: Aus alten Zeiten : Lebensbilder aus Kurland

„Entsetzlich!“

„Haben Sie, gnädiger Herr, schon gehört, was dem Dammerwirt passiert ist?“

„Nein.“

„Es ist doch ein stämmiger, junger Kerl. Der ist vor einigen Tagen im Walde, um Strauch zu hauen. Hört er durch die Strüffeln[1] Weiber kommen. Der Wald ist dort ziemlich dicht. Er duckt sich, um zu hören, was sie vor­haben. Richtig, sie machen ab, die nächste Nacht bei ihm in die Kleete [2] zu steigen; die eine soll das Pferd schaffen, das am Amberg[3] hinter der Kleete warten soll, damit sie nicht weit zu tragen haben. Mein Dammer, nicht faul, sagt zu Hause kein Wort, nicht einmal der Frau, geht abends weg und schließt sich in die Kleete ein, – freut sich die Kanaillen abzufangen. Richtig, es mag kaum zehn Uhr sein, so kommen die Menscher, klettern von der Feld­seite aufs Dach, reißen das Stroh auseinander und wupps! da sind sie! Eben wollen sie die Schinken und Speckseiten und was er von Weizen und Erbsen hat, holen, da kommt er aus der Ecke hervor. Aber – hast du nicht gesehen! Die eine von den Bestien kratzt ihm in die Augen, die andere fährt ihm von hinten mit der Hand unter die Binde, daß er nicht schreien kann; so balgen sie sich herum, bis endlich die Weiber sich losreißen und wie die Katzen wieder hinauf und hinüber sind. Ehe er noch selbst ihnen nach und die Kleete aufschließen kann, sind sie auf und davon. Hol sie einer in der dunkeln, stürmischen Nacht, wo man die Hand nicht vor den Augen sehen kann, und – wer weiß, ob sie nicht Hilfe haben? Es sind „verwogene“ Kerls, die man letzthin bei ihnen im Kruge gesehen hat.“

  1. Gesträuch.
  2. Speicher.
  3. Anhöhe.
Empfohlene Zitierweise:
Paul Seeberg: Aus alten Zeiten : Lebensbilder aus Kurland. J. F. Steinkopf, Stuttgart 1885, Seite 146. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:SeebergAusAltenZeiten.pdf/144&oldid=- (Version vom 21.9.2022)