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Paul Seeberg: Aus alten Zeiten : Lebensbilder aus Kurland

alles, was nur in Wasser getaucht und auf die glühenden Dachpfannen und Wände gebreitet werden konnte, reichen und langte sie dem Bruder zu, der, ein gewandter Turner, auf einer Leiter, hoch oben auf dem Dache stand. Selbst ein großer Kübel mit „saurer Grütze“,[1] der in der Handkammer stand, mußte seinen Inhalt hergeben, um nur immer aufs neue die ausgesetztesten Dachflächen anzufeuchten. So ward endlich die Glut gekühlt und durch Gottes Barmherzigkeit die Gefahr vom Wohnhause abgewendet. Hätten wir Wind von den Ställen her gehabt, so hätte keine Menschenhand das Pastorat zu retten vermocht.

Darüber war es Abend geworden; die Glut der unter­gehenden Sonne und der glimmenden Holztrümmer und Aschenhaufen mischte sich in einander. Wir Kinder waren müd und — woran kein andrer dachte in der großen Aufregung — hungrig geworden. Aber es gab kein Brot. Es war verbrannt. Doch freundliche Nachbarn gedachten unser und brachten einige Laibe herbei. Damit sättigten wir uns. Aber die Thatsache, daß wir nach Gottes Rat in einem Augenblick um Hab und Gut gekommen waren und kein Stücklein Brot hatten, prägte sich mir tief und unvergeßlich ein. Gleichwohl schliefen wir, von der Groß­mutter zu Bett gebracht, süß und ruhig bis zum Morgen, während die Eltern und das Hausgesinde die ganze Nacht zu thun hatten, bis das Feuer gänzlich unterdrückt war. Noch am andern Morgen rauchten die Aschenhaufen und war die Glut so stark, daß wir die Eisenstücke nicht aus der Asche hervorziehen konnten. Desto eifriger waren wir später damit und hatten lange unsre Freude daran, die Nägel, Schrauben und Muttern und andern Eisenkram aufzusuchen,

  1. Bekanntes Lieblingsgericht in Kurland, besonders zur Sommerszeit.
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Paul Seeberg: Aus alten Zeiten : Lebensbilder aus Kurland. J. F. Steinkopf, Stuttgart 1885, Seite 129. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:SeebergAusAltenZeiten.pdf/127&oldid=- (Version vom 17.9.2022)