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Paul Seeberg: Aus alten Zeiten : Lebensbilder aus Kurland

Doch wir begleiten den Großvater weiter, der durch die lange Birkenallee, an dem alten Gottesacker vorbei, heute nach dem Hofe Asuppen fährt. Eben hält sein Gefährt vor der Thür. Er steigt aus. Es ist noch immer eine angenehme Erscheinung, der Mann mit dem schneeweißen Haar, das ihm lang auf die Schultern herabfällt. Zopf und Haarbeutel, die er in früheren Jahren trug, sind frei­lich geschwunden, und des Puders, der mit allem nötigen Zubehör noch in seinem alten Pult wie eine Reliquie auf­bewahrt wurde, bedarf er nicht mehr, seitdem das Alter selbst die Rolle übernommen hat, ihn in die Farbe der Weisheit zu kleiden. Aber seine Haltung ist noch gerad, seine hohe weiße Binde, sein schwarzer Priesterrock kleiden ihn gut, und der Jabot, den er bei festlichen Gelegenheiten anlegt, giebt ihm etwas Feines; und wenn auch die schwarz­seidenen Strümpfe und die Schuhe und Schnallen weißen Strümpfen und hohen, blankgewichsten Stiefeln gewichen sind, so macht das Ganze doch den Eindruck eines Mannes, der einst in der Welt gelebt hat und ihre Formen kennt.

„Sieh da! unser lieber Herr Pastor!“ begrüßt ihn freundlich die Frau vom Hause. Ihre Aussprache verrät die Ausländerin. Ein besonderer Liebreiz verklärt ihre geistreichen Züge, und das reiche schwarze Haar und die großen dunkeln Augen zeichnen ihr Antlitz in bedeutsamer Weise. Obgleich nur mittlerer Größe, hatte sie Gang und Haltung einer Königin. Eine nicht weniger hervorragende Erschei­nung war seinerseits ihr Gatte, Baron Paul von Hahn, der nach manchen Studien und Reisen und nach hoch­angesehenen Stellungen in der Landesverwaltung jetzt zu seinem väterlichen Gut heimgekehrt war, und sich mit der ihm eigenen Einsicht und Energie der Hebung der Land­wirtschaft und der Verbesserung der Lage seiner Bauern widmete. Er hieß in dem greisen Pastor mit hervortretender

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Paul Seeberg: Aus alten Zeiten : Lebensbilder aus Kurland. J. F. Steinkopf, Stuttgart 1885, Seite 113. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:SeebergAusAltenZeiten.pdf/111&oldid=- (Version vom 16.9.2022)