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Paul Seeberg: Aus alten Zeiten : Lebensbilder aus Kurland



6. Johannisabend (1824).




Die Arbeit ruhte. Ein buntes Gehen und Reiten, Rennen und Fahren nahm den Weg ein, der nach dem Edelhofe führte. Es war Johannisabend (d. 23. Juni). Dies Wort allein elektrisiert im Norden alt und jung, zu­mal auf dem Lande. So war denn auch heute die ganze Bauerschaft von Wahnen und Asuppen auf den Beinen, vom ältesten Bettler, der nur noch die Füße hebt, bis zum kleinsten Blondkopf, der noch mit den Brüdern laufen kann. Alles eilt zu Schmaus und Kurzweil nach dem Hof, wo an unabsehbaren Tischen Speise und Trank der Kommen­den harren und auch sonst von der gütigen Herrschaft mit freigebigen Händen alles vorbereitet ist, was den Leuten einen fröhlichen Abend schaffen kann.

Wie sie dahinjäckelten, manche sogar ohne Sattel, die jungen Bursche auf den magern, leichthufigen Kleppern! Dabei ward gescherzt und gelacht und geneckt, um die Wette getrottet oder gejagt und endloser Staub aufgewirbelt. Dazwischen eilten die Mädchen hin, bald einzeln, bald schwesterlich geschart, mit ihren blauen oder bunten Miedern, in ihren streifigen, selbstgewebten Röcken, mit dem möglichst roten Seidentüchlein auf dem Kopf; hier und da auch schon eine modernisierte Bauernschöne, die der Mütter­ Tracht abgethan hat und dafür desto eitler einherprangte in ihrem schreienden Möbelzitz ohne Form und Geschmack,

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Paul Seeberg: Aus alten Zeiten : Lebensbilder aus Kurland. J. F. Steinkopf, Stuttgart 1885, Seite 105. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:SeebergAusAltenZeiten.pdf/103&oldid=- (Version vom 15.9.2022)