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Paul Seeberg: Aus alten Zeiten : Lebensbilder aus Kurland

konnte auch der Freiherr von D. nicht lassen, sonst ein fein­gebildeter Mann. War's doch ein echt kurischer Schwank, als er in Mitau im Kasino einen etwas einsilbigen unbekannten Herrn fand und beim Weggehen zu einem seiner Freunde sagte: „Ach, nimm dich doch etwas des armen Jungen dort im Billardzimmer an; er ist taubstumm und scheint sich wie ein Kettenhund zu ennuyieren.“ Der edle Freund geht denn auch aus dem Salon dorthin, um seine Christenpflicht zu erfüllen. Schweigend nimmt er ein Queue von der Wand und zeigt bedeutsam auf das Billard. Der andere erhebt sich und thut desgleichen. Jetzt kommt's ans Pointieren und schweigend erhebt der erste seine Finger und zeigt seinem Mitspieler die Zahl. – Das läßt sich dieser einmal gefallen, sieht ihn dabei aber doch so ernst fragend an. „Wie die Taubstummen,“ denkt unser Phil­anthrop. Da sich die Sache aber wiederholt, platzt der Bemitleidete plötzlich hervor: „Aber was soll das, mein Herr? Sind Sie taubstumm oder halten Sie mich da­für?“ womit sich denn die Sache zu allgemeiner Heiterkeit aufklärte. Nicht minder ergötzlich war jener andere Scherz, den der allzeit fröhliche Freiherr neben unzähligen andern sich mit einer Krügerin im Oberlande erlaubte. Es war grade harte Winterszeit, als er spät abends durch einen Wald fuhr und an einer einsamen Schenke anhielt,

    auch wie manche Leute in Deutschland voll Bewunderung für den großen Sohn jener Insel. Ich vermute, daß er sogar eine Zeit lang an jenem Hofe geweilt hatte, wo es „alle Tage lustik“ herging. Sein Französisch war unter den Landwirtschaftssorgen all­mählich etwas verduftet. Aber er war nie in Verlegenheit, das französische Dictionnaire im Notfall um einige neue Bildungen zu vermehren. Auf einen Regenbogen deutend, fragte ihn sein Groß­töchterlein: Comment cela s’apelle en français, cher grand­papa? — „C’est un volquenpluie, mon enfant,“ — ant­wortete der Alte mit größter Ruhe, dem just das Wort nicht einfiel.

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Paul Seeberg: Aus alten Zeiten : Lebensbilder aus Kurland. J. F. Steinkopf, Stuttgart 1885, Seite 12. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:SeebergAusAltenZeiten.pdf/10&oldid=- (Version vom 12.9.2022)