rechtschaffene Eltern sind, weiß ich aus eigener Erfahrung. Selbst von frommen Eltern stammend, in deren Augen Christenthum und Gottesfurcht mehr, als irdische Schätze, galten, weiß ich, was es heiße, derselben früh beraubt zu werden; weiß, welch großen Gefahren verlaßene und unbehilfliche Waisen ausgesetzt sind. Doch aber weiß ich auch, daß der Segen guter Eltern auf den Kindern ruht, und daß gute Kinder ihre Eltern noch im Grabe ehren. Ich weiß ferner, das verlaßene Waisen, so lang sie fromm und gottesfürchtig sind, im Schutze Gottes stehen, der Vaterstelle an ihnen vertritt, und der mit solcher väterlicher Liebe sich ihrer annimmt, daß er selber gesprochen hat: „Wer mir Waisen angreift, der greift in meinen Augapfel.“
Elternlose, fromme Waisen sind der Augapfel Gottes! Wehe denen, die elternlosen Kindern zu nahe treten! –
Nehmt daher auch ihr, fünf verlaßene Waisen! am Grabe euers seligen und liebenden Vaters diese Worte zu eurem Troste hin. Folget dem guten Beispiele und den wohlgemeinten Ermahnungen euerer seligen Eltern, vergesset sie nie bis zu eurem letzten Athemzuge; vertrauet auf Gott! und machet durch Eintracht, Tugend und Frömmigkeit euch seines Beistandes
Johann Martin Rauch: Sechs kurze Trauerreden. Bei Beerdigungen gesprochen. Alois Attenkover, Ingolstadt 1834, Seite 34. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Sechs_kurze_Trauerreden._Bei_Beerdigungen_gesprochen_von_J._M._Rauch.pdf/36&oldid=- (Version vom 1.8.2018)