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unserer Seite wurde sogleich beantwortet, und unser Mann trat aus dem Korn hervor.

Er berichtete uns, daß die Bahn frei sei. Wir schritten rüstig vorwärts, und in weniger als einer Stunde hatten wir das Dorf Steinmauern erreicht. Unser Freund führte uns an das Rheinufer und zeigte uns einen Kahn, in dem ein Mann fest schlafend lag. Er wurde schnell geweckt, und unser Freund kündigte ihm an, wir seien die Leute, die über den Rhein gesetzt werden sollten. „Das kostet fünf Gulden“, sagte der Bootsmann, der sich auf meine Frage, wo er her sei, als einen Koblenzer zu erkennen gab. Ich reichte ihm den verlangten Lohn und bot auch noch etwas Geld unserem braven Führer an. „Ihr habt mir schon genug gegeben“, sagte dieser. „Was ihr noch habt, braucht ihr wohl selbst. Ich heiße Augustin Löffler. Vielleicht sehen wir uns im Leben noch einmal wieder. Gott behüt euch!“ Damit schüttelten wir einander die Hände zum Abschied. Wir Flüchtlinge stiegen in den Kahn, und unser Freund wanderte nach Rastatt zurück. Viele Jahre später, als ich Minister des Innern in der Regierung der Vereinigten Staaten war, empfing ich eines Tages von Augustin Löffler einen Brief aus einem kleinen Ort in Kanada. Er schrieb mir, er sei nicht lange nach der Revolutionszeit aus Deutschland ausgewandert, und es gehe ihm gut in seiner neuen Heimat. Er habe in einer Zeitung gelesen, ich sei einer von den drei jungen Leuten, die er in jener Julinacht 1849 von Rastatt an den Rhein geführt habe. Ich antwortete ihm, drückte meine Freude über den Empfang seines Briefes aus und bat ihn, wieder zu schreiben, habe aber seither nichts wieder von ihm gehört.

Nach kurzer Wasserfahrt setzte uns der Bootsmann in einem dichten Weidengebüsch ans Land. Es war zwischen zwei und drei Uhr morgens, und da das Gebüsch unwegsam schien, so beschlossen wir, auf alten Baumstumpen sitzend, dort das Tageslicht zu erwarten. In der Morgendämmerung brachen wir auf, um das nächste elsässische Dorf zu suchen. Bald aber entdeckten wir, daß wir auf einer Insel gelandet waren. Wir fanden ein kleines Haus, das ungefähr in der Mitte der Insel stand und das Häuschen eines badischen Zollwächters zu sein schien. So waren wir also noch in „Feindesland“, und der Bootsmann aus Koblenz hatte uns getäuscht. Das Häuschen war dicht verschlossen, die Fensterladen sowohl wie die Türe. Wir horchten, aber drinnen rührte sich nichts. Ein rascher Lauf über die kleine Insel überzeugte uns, daß diese, uns drei ausgenommen, menschenleer sei. Wir begaben uns nun an das dem Elsaß zugekehrte Ufer und, als eben die Sonne aufging, sahen wir drüben zwei Männer einhergehen, die wir bald als französische Douaniers erkannten. Wir riefen ihnen übers Wasser zu, daß wir Flüchtlinge seien und dringend wünschten, hinüber geholt zu werden. Ohne sich lange bitten zu lassen, bestieg einer der Douaniers, ein biederer Elsässer, einen kleinen Nachen und brachte uns auf elsässischen Boden. Unsere Waffen gaben wir den Zollbeamten ab und versicherten ihnen unter beiderseitigem Lachen, daß wir sonst nichts Steuerpflichtiges aus Rastatt mitgebracht hätten. Als ich mich nun wirklich in Freiheit und Sicherheit wußte, war mein erster Impuls, nach dem viertägigen Schweigen oder Flüstern, einmal laut zu schreien. Meinen

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 155. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s155.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)