Seite:Schurz Lebenserinnerungen b1 s153.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

und er kam nicht. Waren wir wieder getäuscht? Endlich gegen Mittag hörten wir jemanden in dem Verschlage dicht unter uns geräuschvoll herumrumoren, als schöbe er schwere Gegenstände von einer Ecke in die andere; dann ein leichtes Husten. Im nächsten Augenblick erschien ein Kopf in der Öffnung unserer Bretterwand und ein Mann stieg zu uns herein. Es war unser neuer Freund. Er schob einen Korb vor sich her, der anscheinend mit Handwerkszeug gefüllt war, aus dessen Tiefe aber bald zwei Flaschen Wein, ein paar Würste und ein großer Laib Brot hervorgelangt wurden. „Da ist etwas für Hunger und Durst“, sagte unser Freund leise. „Ich bin auch um die Stadt herum gewesen. Die preußischen Wachtposten sind nicht mehr draußen. Ich will euch gern helfen. Sagt mir nur was ich tun soll.“

Ich bat ihn nun, nach Steinmauern zu gehen und sich dort nach einem Kahn umzusehen, der uns in der kommenden Nacht über den Rhein bringen könne. Dann solle er gegen Mitternacht in dem Welschkornfelde nahe bei dem Steinmauerner Tor uns erwarten. Das Signal werde ein Pfiff sein, den er beantworten solle, um dann mit uns zusammenzutreffen und uns nach der Stelle zu führen, wo der Kahn liege. Seiner Frau sollte er sagen, daß sie um 11 Uhr nachts etwas zu essen für uns bereit haben möge.

Ich gab dem Manne noch etwas mehr Geld; er versprach alles zu tun, was ich verlangt, und verschwand wieder wie er gekommen war. Nun hielten wir ein königliches Mahl, während dessen unsere gute Laune es uns sehr schwer machte, die nötige Stille zu bewahren. Um so länger schienen uns die folgenden Stunden. Sie waren so voll von Hoffnung und Besorgnis. Gegen zwei Uhr hörten wir das Knattern einer Gewehrsalve in einiger Entfernung.

„Was ist das?“ flüsterte Neustädter. „Da erschießen sie wohl einen.“

Mir schien es auch so. Wir nahmen es als eine Andeutung des Schicksals, das uns bevorstände, wenn wir gefangen würden. In der Tat aber begann, wie wir später erfuhren, das Erschießen erst einige Tage nachher.

Gegen drei Uhr erhob sich ein geräuschvolles Getreibe in dem Schuppen unter uns. Die Reiter machten sich offenbar zum Abzuge bereit. Aber kaum waren sie fort, als eine andere Truppe von dem Schuppen Besitz nahm. Wie wir aus den zu uns heraufdringenden Gesprächen schließen konnten, war es eine Abteilung Husaren. Gegen Abend schien sich eine große Menge zu versammeln, und wir unterschieden auch weibliche Stimmen darunter. Dann erklang eine Trompete, die Walzerweisen spielte, wozu die lustige Gesellschaft tanzte. Dies war uns nicht unlieb, denn wir erwarteten, daß nach einem solchen Vergnügen, bei dem es nicht ohne tapferes Trinken abging, unsere Husaren nur um so tiefer schlafen würden. Gegen neun Uhr zerstreute sich die Menge und es würde alles still geworden sein, hätte nicht einer der Husaren eine Rastatter Maid auf dem Platze zurückgehalten. Das Pärchen stand oder saß dicht bei unserm Versteck und jedes der gewechselten Worte konnten wir verstehen. Die Unterhaltung war sehr gefühlvollen Charakters. Er beteuerte ihr, daß sie reizend sei, daß sie sogleich beim ersten Blick sein Herz in Flammen gesetzt habe, und daß

Empfohlene Zitierweise:
Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 153. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s153.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)