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durch einen hohen Bretterzaun von einer Straße geschieden war. Es regnete wieder in Strömen und in der unmittelbaren Umgebung schien sich niemand zu regen. So konnten wir denn mit einiger Sicherheit unsern neuen Zufluchtsort untersuchen. Wir fanden, daß an dem Ende des Grabens, nach dem Garten zu, Brennholz über Mannshöhe aufgestapelt war, ein hohles an der uns zugekehrten Seite offenes Viereck bildend. Bis zu diesem Viereck konnten wir durch den von dem Gebüsch gedeckten Graben schleichen, und in dem so geschlossenen Raum waren wir so ziemlich vor den Blicken derjenigen geschützt, die etwa vorübergehen mochten. Dort setzten wir uns auf Holzblöcken nieder.

Aber was sollte nun aus uns werden? Das Unbehagen unserer erbärmlichen Lage, wie wir, bis auf die Haut durchnäßt, da saßen, würden wir schon gern ertragen haben, hätte sich nur die geringste Aussicht des Entkommens geboten. Der treue Adam, sonst so gutmütig, war heftig aufgebracht über das Benehmen seiner Base. Neustädter sah unsere Lage für hoffnungslos an und fragte, ob es nicht besser sei, unserer Not damit ein Ende zu machen, daß wir uns freiwillig bei den Soldaten im Hause als Gefangene meldeten. Und ich muß gestehen, daß auch mein sonst so sanguinisches Temperament eine harte Probe zu bestehen hatte. Doch raffte ich meinen Mut zusammen, und wir beschlossen dann, bis aufs äußerste auszuhalten und dem Glück zu vertrauen. So saßen wir denn, eine Stunde nach der andern auf das Schicksal wartend, im beständig herabströmenden Regen, auf unsern Holzblöcken, wahre Jammergestalten. Gegen Mittag hörten wir Schritte im Garten nahe bei unserm Versteck. Vorsichtig blickte ich aus der offenen Seite des Brennholzvierecks heraus und sah vom Hause herkommend einen Mann mit einer Säge in der Hand. Nach seinem Aussehen und der Säge, die er trug, schloß ich, daß er ein Arbeiter sei; und da die Arbeiter durchweg der revolutionären Sache günstig waren, so zauderte ich nicht, ihm zu vertrauen. Ich warf einen Holzspan nach ihm, der ihn am Arme traf, und als er stillstand, zog ich seine Aufmerksamkeit auf mich mit einem leisen Husten. Er sah mich und trat zu uns. In aller Schnelligkeit erklärte ich ihm unsere Lage und bat ihn, uns ein sicheres Unterkommen zu schaffen und auch etwas zu essen, da unser letzter Bissen verzehrt sei. Mein Vertrauen hatte mich nicht getäuscht. Er versprach zu tun, was nötig sei. Dann ging er fort, kehrte aber schon in einer halben Stunde zurück und zeigte uns hart bei dem aufgeschichteten Brennholz einen großen offenen Schuppen. An dem Ende des Schuppens, das uns am nächsten lag, befand sich ein kleiner geschlossener Verschlag, in welchem wahrscheinlich die Arbeiter ihre Werkzeuge verwahrten, und über diesem Verschlag unter dem Dach des Schuppens ein kleiner mit Planken verkleideter Söller. „Ich will eine dieser Planken losbrechen“, sagte der Arbeitsmann. „Ihr könnt dann über das Brennholz unters Dach hineinsteigen und euch dort niederlegen. Ich werde bald wiederkommen und euch etwas zu essen bringen.“

Wir folgten seinem Rat, und es gelang uns, unbemerkt in den kleinen Raum unter dem Dach hineinzuschlüpfen. Unser Gemach war gerade groß genug, daß wir drei bequem darin nebeneinander liegen konnten.

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 150. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s150.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)