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Ufer übersetzen können? Mein Entschluß war schnell gefaßt – ich wollte es versuchen.

Ich rief meinen Burschen, der zum Abmarsch fertig geworden war. „Adam“, sagte ich, „Sie sind ein Pfälzer und ein Volkswehrmann. Ich glaube, wenn Sie sich den Preußen ergeben, so wird man Sie bald nach Hause schicken. Ich bin ein Preuße, und uns Preußen werden sie wahrscheinlich totschießen. Ich will daher versuchen davonzukommen, und ich weiß wie. Sagen wir also Adieu!“

„Nein“, rief Adam, „ich verlasse Sie nicht, Herr Leutnant. Wohin Sie gehen, gehe ich auch.“ Die Augen des guten Jungen glänzten von Vergnügen. Er war mir sehr zugetan.

„Aber“, sagte ich, „Sie haben nichts dabei zu gewinnen, und wir werden vielleicht große Gefahr laufen.“ „Gefahr oder nicht“, antwortete Adam entschieden, „ich bleibe bei Ihnen.“

In diesem Augenblicke sah ich draußen einen mir bekannten Artillerieoffizier namens Neustädter vorübergehen. Er war wie ich in Rheinpreußen zu Hause und hatte früher in der preußischen Artillerie gedient.

„Wo gehen Sie hin, Neustädter?“ rief ich ihm durchs Fenster zu.

„Zu meiner Batterie“, antwortete er, „um die Waffen zu strecken.“

„Die Preußen werden Sie totschießen“, entgegnete ich. „Gehen Sie doch mit mir und versuchen wir, davon zu kommen.“

Er horchte auf, kam ins Haus und hörte meinen Plan, den ich ihm mit wenigen Worten darlegte. „Gut“, sagte Neustädter, „ich gehe mit Ihnen.“ Es war nun keine Zeit zu verlieren. Adam wurde sofort ausgeschickt, um einen Laib Brot, ein paar Flaschen Wein und einige Würste zu kaufen. Dann steckten wir unsere Pistolen unter die Kleider und rollten unsere Mäntel auf. In dem meinigen, einem großen, dunkeln, mit rotem Flanell gefütterten Radmantel, den ich erst kürzlich aus geliefertem Zeug mir hatte machen lassen, verbarg ich einen kurzen Karabiner, den ich besaß. Die Flaschen und Eßwaren, die Adam brachte, wurden auch so gut es ging verpackt. Unterdessen begann die Besatzung in geschlossenen Kolonnen über den Markt zu marschieren. Wir folgten der letzten Kolonne eine kurze Strecke, schlugen uns dann in eine Seitengasse und erreichten bald die innere Mündung unseres Kanals. Ohne Zaudern schlüpften wir hinein. Es war zwischen ein und zwei Uhr nachmittags am 23. Juli.

Der Kanal war eine von Ziegelsteinen gemauerte Röhre, etwa 4–4½ Fuß hoch und 3–3½ Fuß breit, so daß wir uns darin in einer unbehaglichen gehuckten Stellung befanden und, um uns fortzubewegen, halb gehen, halb kriechen mußten. Das Wasser auf dem Boden reichte uns bis über die Fußgelenke. Als wir weiter in das Innere des Kanals vordrangen, fanden wir in regelmäßigen Entfernungen enge Luftschachte, oben mit eisernen Gittern und Rosten verschlossen, durch die das Tageslicht herabkam und den sonst finsteren Kanal fleckweise erhellte. An solchen Stellen ruhten wir einen Augenblick und streckten uns aus, um das Rückrat wieder in Ordnung zu recken. Wir hatten unserer Berechnung nach ungefähr die Mitte der Länge des Kanals erreicht, als ich mit dem Fuße an ein kurzes im

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 145. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s145.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)