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Säbelhieben zusammenstürzte. Das Ganze war das Werk eines Augenblicks. Die Offiziere, die zufällig herzukamen, darunter auch ich, konnten allerdings die Soldaten bald wieder zur Ruhe bringen, aber das Opfer nicht mehr retten.

Die Belagerung sollte uns auch größere Aufregungen bringen. Eines Morgens, kurz nach Tagesanbruch, wurde ich durch einen starken Knall auf der Straße dicht unter meinem Fenster geweckt. Indem ich aufsprang, kam mir der Gedanke, die Preußen möchten während der Nacht in die Stadt gedrungen sein, und es gäbe nun einen Straßenkampf. Ein zweiter Knall gerade über dem Hause und das prasselnde Geräusch schwerer Körper, die auf das Dach fielen, belehrte mich, daß die Festung beschossen werde, und daß eine Granate soeben den Schornstein meines Quartiers umgestürzt habe. So kam denn auch Schuß auf Schuß und Explosion auf Explosion, bald von dem Donner der Festungsgeschütze beantwortet. Ich eilte schnell nach dem Hauptquartier auf dem Schloß, und da bot sich meinen Augen ein jämmerlicher Auftritt. Der Schloßhof füllte sich schnell mit Bürgersleuten, darunter sehr viele Frauen und Kinder, die instinktiv in der Nähe des Befehlshabers vor dem drohenden Unheil Schutz suchten. Die meisten von den Erwachsenen und sogar einige der Kinder schleppten Betten oder Kisten oder allerlei Hausgerät auf ihren Köpfen oder unter den Armen. So oft nun eine Granate schnurrend über den Schloßhof flog oder in der Nähe explodierte, warfen die armen Menschen, von jähem Schreck überwältigt, alles, was sie trugen, zu Boden und drängten sich schreiend und händeringend den Gebäuden zu. Trat dann ein Augenblick der Ruhe ein, so nahmen sie ihre Habseligkeiten wieder auf; aber sobald eine neue Granate dahersauste, wiederholte sich die Szene. Da gab es denn viel für die Stabsoffiziere des Gouverneurs zu tun, um die Leute zu beruhigen und, so weit es ging, sie zeitweilig in den bombenfesten Kasematten unterzubringen. Unterdessen erschollen die Kirchenglocken und eine Menge von Frauen mit ihren Kindern, auch nicht wenige Männer, rannten über den Markt nach der Hauptkirche, wo sie unter lautem Weinen und jammervollem Händeringen Gott um Schutz anflehten.

Die Beschießung war übrigens nicht sehr ernstlich gemeint, dauerte nur wenige Stunden und richtete nicht viel Schaden an. Einige von ihr verursachte Feuersbrünste wurden schnell gelöscht. Die Preußen beabsichtigten wahrscheinlich nur, uns anzudeuten, daß die Übergabe der Festung nicht gar zu lange aufgeschoben werden dürfe, wollten wir größere Unannehmlichkeiten vermeiden. So wurden wir nur aus Feldgeschützen und einigen Mörsern beschossen. Das schwere Belagerungsgeschütz sollte wohl erst kommen, wenn es nötig würde, mit den wirksamsten Gewaltmitteln die Festung zur Übergabe zu zwingen. Der Gouverneur und die Besatzung zogen vor, sich fürs erste noch zu wehren; und so wurde am nächsten Tage ein Ausfall gemacht, um die Beschießungsbatterie zu vertreiben, und die den Ausfall kommandierenden Offiziere berichteten uns nachher, daß die Mörser wirklich von den Unsrigen genommen und vernagelt worden seien.

Sonst ereignete sich wenig von Bedeutung. Mit den höheren Offizieren der Garnison kam ich als Mitglied des Stabes wohl in

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 139. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s139.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)