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„Ich will“, sagte ich mit einer äußerlichen Kaltblütigkeit, die ich innerlich nicht fühlte, „ich will, daß Sie unverzüglich an dieses Fenster treten und ihre Bauern recht eindringlich ermahnen, sofort ruhig nach Hause zu gehen. Sie werden hinzusetzen, daß Sie mit der Regierung Geschäfte im Interesse Ihrer Gemeinde haben, daß Sie in Beleitung Ihres Freundes hier, das bin ich, nach der Stadt gehen werden, um diese Geschäfte abzumachen, und daß diese bewaffneten Volkswehrmänner dazu gekommen sind, Sie unterwegs gegen alle Gefahr und Belästigung zu schützen. Während Sie diese Rede an die Bauern halten, stehe ich mit dieser Pistole hinter Ihnen. Machen Sie Ihre Sache gut, Herr Pastor. Die provisorische Regierung wird es Ihnen anrechnen.“

Der Pfarrer sah mich einen Augenblick verdutzt an und lächelte wieder; aber es war ein verlegenes Lächeln. Die Pistole in meiner Hand gefiel ihm augenscheinlich nicht. Dann trat er wirklich ans Fenster und wurde von den Bauern mit lauten Ausrufen empfangen. Er gebot Ruhe und sagte genau das, was ich ihm vorgeschrieben hatte. Er machte seine Sache vortrefflich. Die Bauern gehorchten ihm ohne Zaudern, und es wurde still auf der Straße. Der Pfarrer und ich tranken nun unsere Flasche Wein in aller Gemütlichkeit. Bei eintretender Dämmerung verließen wir das Haus durch die Hintertür und wanderten miteinander über Land der Stadt zu, wie zwei alte Freunde, in heiterem Gespräch, die bewaffnete Macht ein paar hundert Schritte hinter uns. Unterwegs spielte ich mit meiner Pistole, indem ich sie in die Luft warf und mit der Hand wieder auffing. „Nehmen Sie sich doch in acht“, sagte der Pfarrer, „die Pistole könnte losgehen.“

„Unmöglich, Herr Pastor“, antwortete ich. „Sie ist ja gar nicht geladen.“

„Was“, rief er, „nicht geladen? Und ich – na, das ist ein kapitaler Spaß!“

Wir blickten einander an und brachen beide in helles Gelächter aus. Ich berichtete der provisorischen Regierung, wie der Pfarrer mir und meinen Leuten aus der Patsche geholfen, und er wurde sehr glimpflich behandelt und bald wieder nach Hause geschickt. Man hatte auch an viel wichtigere Dinge zu denken.

Der Angriff, den die fröhlichen Pfälzer, wenigstens viele davon, so lange für unwahrscheinlich gehalten hatten, kam nun wirklich. Am 12. Juni rückte eine Abteilung preußischer Truppen über die Grenze. Wären die Flüche, die das sonst so gutmütige Völkchen den Preußen entgegenschleuderte, alle Kanonenkugeln gewesen, so hätte das preußische Korps schwerlich standhalten können. Aber die wirklichen Streitkräfte, über welche die provisorische Regierung der Pfalz gebot, waren so gering und befanden sich in einem so wenig schlagfertigen Zustande, daß an eine erfolgreiche Verteidigung des Landes nicht zu denken war. Man mußte daher ein Zusammentreffen mit den Preußen vermeiden; und so kam es, daß die erste militärische Operation, an der ich teilnahm, in einem Rückzug bestand.

Einige Tage vorher hatte mein Chef, der Oberstleutnant Anneke, mich instruiert, zu jedem Augenblick marschbereit zu sein, was mir nicht schwer fiel, da mein Gepäck sehr bescheiden war. Es wurde mir auch

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 131. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s131.jpg&oldid=- (Version vom 29.8.2021)